Kurt Ostbahn - Platzangst
traditionsreichen Wiener Nachtclub Wiedersehen. Iris ist in Begleitung ihres damaligen Lebensgefährten, einem in Fachkreisen mehr für seine alkoholischen Eskapaden als sein literarisches Schaffen gerühmten Schriftsteller, und Frido Knapp läßt sich abwechselnd von den drei Schönen umgarnen, die er auf den Bildern seiner Ausstellung in delikaten Situationen hochnotpeinlicher Bedrängnis festgehalten hat. Aber irgendwie finden der Knapp und Iris in dieser Nacht gesprächsweise zueinander, was dazu führt, daß der Fotokünstler ein paar Wochen später einen Mietvertrag für die Fabian-Villa in der Auhofstraße unterschreibt, die seit der Scheidung des alten Fabian von der Familie nicht mehr bewohnt wird. Der Vater lebt mit seiner zweiten Frau in der Hinterbrühl, die Mutter im Haus ihrer Eltern, und auch die Kinder haben keine Verwendung für den monströsen Kasten, mit dem sich ihr Urgroßvater, seines Zeichens Konditormeister und k. & k. Hoflieferant, ein Denkmal setzen wollte.
1994. Iris läßt den versoffenen Dichter nach seinem fünften Selbstmordversuch lieber alleine weitersterben und trifft während eines nächtlichen Spaziergangs durch den Siebenten auf Doktor Trash, der weltverloren vor seinem Haustor in der Kirchengasse steht und nicht fassen kann, daß er seine Schlüssel daheim vergessen hat. Noch ein Chaot, noch ein Verrückter. Aber zur Abwechslung einer von der liebenswerten Sorte. Zumindest so viel weiß Iris, nachdem sie ihm eine Stunde gleich ums Eck im Europa Gesellschaft geleistet hat, beim Warten auf den Schlüsseldienst. Dann muß sie ihm auch noch zweitausend Schilling borgen, weil er für den Halsabschneider vom 24-Stunden-Service nicht genug Bargeld im Haus hat, und als er ihr am nächsten Tag das Geld vorbeibringt, ist das der Beginn einer Romanze, wie sie schöner und harmonischer garnicht sein könnte. Der Doc und Iris turteln am Telefon, gehen zum Koreaner Essen, verbringen so manches gemeinsames Wochenende hier in der Gegend, drüben in Reitzenschlag, oder im Haus ihrer Mutter, die den Doc von Anfang an ins Herz geschlossen hat. Wenn sie Lust hat, wirft Iris einen Blick in die abstoßende und gleichzeitig faszinierende Unterwelt der Mörder und menschlichen Monster, deren Erforschung der Doc seinen ganzen beruflichen Ehrgeiz widmet, und in dieser Zeit gewährt jeder dem anderen den großen Freiraum, den er zu seiner persönlichen Entfaltung braucht.
Alles ist gut. Doch nach knapp einem Jahr fängt der Doc an, Druck zu machen. Und Druck mag Iris garnicht. Den hatte sie bei ihrem dichtenden Selbstmordkandidaten bis zum Abwinken. Der Doc will eine gemeinsame Wohnung, einen gemeinsamen Alltag, eine gemeinsame Zukunft. Und zwar jetzt sofort. Entweder oder. Und wenn er nicht kriegt, was er sich in den Kopf gesetzt, dann kann er sehr anstrengend sein. Eine Nervensäge, launisch und ein Querulant, dem man nichts recht machen kann. Ihre Treffen werden zu Krisengipfeln, ihre gemeinsamen Spaziergänge zu Schweigemärschen durch den Wienerwald.
1995. Februar. Fisch. Der Knapp hat Geburtstag. Seinen 35. Und den begeht er mit einem großen Fest in der Auhofstraße. Iris ist eingeladen, und der Doc, der sich seit Tagen in Trübsinn und hypochondrischen Migräneanfällen ergeht, wird fast gegen seinen Willen eingepackt und mitgenommen. Eine Schnapsidee, wie sich spätestens eine Stunde nach Beginn der Festivitäten herausstellt. Denn während Iris den Smalltalk mit dem Gastgeber und vielen Bekannten pflegt, hat der Doc offenbar beschlossen, an diesem Abend den Mund nur aufzumachen, um die Vodkavorräte des Geburtstagskindes in sich hineinzuschütten. Gegen elf sitzt er, bereits jenseits von Gut und Böse vor der Stereoanlage, macht unaufgefordert den DJ und malträtiert die Festgesellschaft mit dem übelsten Schrott, den er in Knapps Plattenschrank finden kann. Wer es wagt, den Doc wegen seiner Musikauswahl zu kritisieren oder auch nur bittet, den Schmarrn doch wenigstens leiser zu drehen, wird von ihm mit scharfen Worten an den Gastgeber verwiesen, der ihn angeblich engagiert hat, und überhaupt, wer dem musikalischen Festtagsmenü von DJ Trash nichts abgewinnen kann, sei hier fehl am Platz und möge sich schleunigst über die Häuser hauen. Der Knapp findet den Auftritt des Doc auch nur so lang lustig, bis dieser auf zwei Geräuschplatten zur Vertonung von Heimvideos stößt, und die Gäste daraufhin mit einem ohrenbetäubenden Mix aus Türenschlagen, Frontalzusammenstößen, Preßlufthammern
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