Kurt Ostbahn - Platzangst
mir Schluckbeschwerden. Eingemauert in einem Kellerloch, einer mannshohen, stockfinsteren Nische. Womöglich bei vollem Bewußtsein. Um Hilfe und um sein Leben schreien, bis die Sauerstoffvorräte auf Reserve stehen. Die kalten feuchten Wände nach Schwachstellen abtasten, sich in Panik und Raserei gegen die Ziegelmauern werfen, mit bloßen Fäusten und blutenden Fingern gegen das Unvermeidbare angehen, den Mut und bald darauf das Bewußtsein verlieren, dann wieder zu sich kommen und den bösen Traum verscheuchen wollen, die letzten Reste Luft und Hoffnung schöpfen, um dann mit einem Schrei, der bloß ein erbärmliches Krächzen ist, die Grenze zum Wahnsinn zu durchstoßen.
Die Vorstellung kann einem gründlich den Appetit verderben. Und sie trübt das Denkvermögen, zieht immer wieder in dicken Schwaden durch meine Birne.
Der Quell -Poldl kommt mit den weißen Achteln für die zwei Querulanten vom Nebentisch vorbei, und ich bestelle per Fingerzeig das nächste kleine Bier. Ronnie und Axel erhöhen mit ein paar Sekunden Verzögerung auf noch ein Krügel.
„Schön oasch“, bricht Ronnie das Schweigen.
„So ist es“, sage ich, und Axel nickt in stummem Einverständnis in sein leeres Bierglas.
An der Tatsache, daß wir dieses Netz an Problemen, unter dem wir jetzt beim Quell beisammen sitzen, einzig und allein ihrem schier unstillbaren Tatendrang zu verdanken haben, daran wagt keiner der beiden zu rütteln.
Aber daß ich es war, der sie dazu ermutigt, ja sogar mit der nötigen Ausrüstung versehen hat, das geht allein auf meine Kappe.
Also die Sachlage ist die: Natürlich sind Ronnie und Axel kein gewöhnlicher Bautrupp. Die beiden Herren stehen nicht im Sold irgendeiner Baufirma, haben weder das Maurer-, noch sonst irgendein goldenes Handwerk erlernt, sind so gesehen also auch keine Pfuscher und auch ganz bestimmt keine Taglöhner, die sich ihr karges Arbeitslosengeld aufbessern, indem sie – unter Umschiffung von Finanz- und Arbeitsamt – ihre Arbeitskraft auf dem schwarzen Markt feilbieten. Ronnie und Axel sind genaugenommen vielerlei: sozialversicherungstechnisch Studenten der Juristerei (Ronnie) bzw. Anthropologie (Axel), ihrer Berufung nach Musikanten (Ronnie schlägt die Gitarre, Axel den Baß), seit viereinhalb Jahren meine Roadcrew – und seit der Schnapsidee mit dem eigenen Badezimmer nun auch mein Bautrupp.
Auch wenn die Regenbogenpresse etwas ganz anderes behauptet: als mittelständischer Rock-and-Roll-Unternehmer schwimmt man hierzulande weder im Geld noch im eigenen Pool, und wenn man in der eigenen Badewanne pritscheln will, dann muß man eben nach kostensparenden Lösungen Ausschau halten.
Mein Umbau durfte kein Haus kosten, und deshalb habe ich für die groben Vorarbeiten nicht die Dienste eines Bauprofis in Anspruch genommen, sondern bei der Roadcrew angefragt, weil die jungen Herrn Ronnie und Axel während vieler gemeinsamer Tourneemonate nicht nur bei der Vernichtung hochprozentiger Alkoholika stets ganze Arbeit leisten. Axel betreut verläßlich die Backline, also den zur Erzeugung elektrisch verstärkter Rock-and-Roll-Musik notwendigen Gerätepark, der bunt blinkend hinter den Musikanten auf der Bühne herumsteht, Ronnie bedient die Lichtorgel, und beide steuern sie den Citröenbus mit den Instrumenten und Geräten.
In der spielfreien Zeit gehen die Burschen ihren eigenen musikalischen Ambitionen nach, einer kruden, eindeutig für Menschen ihrer Generation bestimmten Mischkulanz aus schwarzen Funk-Rhythmen, Schweinegitarren und Turbinenlärm. Dabei gehen sie, wenn man dem fachkundigen Urteil des Trainers glauben will, neue radikale Wege. Die führen jedoch am Geschmack des breiten Publikums vorbei, und daher gehen die Burschen mindestens das halbe Jahr finanziell am Zahnfleisch und fressen daheim den Kitt aus den Fenstern.
Was lag also näher, als die Roadcrew gegen ein relativ fürstliches Entgelt mit der schönen Aufgabe zu betrauen, in die Kaltenbeck-Küche durchzubrechen, dort den Linoleumboden und die Tür- und Fensterstöcke rauszureißen und den anfallenden Schutt und Müll mit dem Instrumentenbus abzutransportieren.
Gute Idee, gute Sache und eine gute Tat noch dazu. Hab ich gedacht. Ronnie und Axel sahen das ähnlich. Anfangs zumindest. Aber nachdem sie meinen Mehrzweckraum mit dem Kücheninventar vollgeräumt hatten, der Durchbruch geschafft, der Fensterstock herausgestemmt und siebzehn Kisten Bier leergetrunken waren, wurden meine beiden Handwerker Opfer einer
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