Kurt Ostbahn - Platzangst
bierdumpfe Verzweiflung umschlägt, hab ich die erste brauchbare Idee des Tages. Sie ist zwar nicht die Lösung all unserer Probleme, aber immerhin ein Anfang.
„Ich geh schnell telefonieren“, sage ich und stehe auf. „Bestellts mir inzwischen noch ein Bier. Ein großes.“
„Wen willst denn anrufen?“, erkundigt sich Axel ohne einen Funken Hoffnung in der Stimme.
„Die Polizei“, sage ich.
„Sehr witzig“, sagt Ronnie.
6
Als ich mich neben dem Durchgang zum Extrazimmer in die hölzerne, fensterlose Telefonzelle zwänge und hinter mir die Tür zufallt, noch bevor ich den Finger am Lichtschalter habe, in diesem kurzen Moment muffiger, bleischwerer Finsternis, kommt mit einem Höllenkaracho aus den Tiefen des schwarzen Nichts ein lederhäutiger Schrumpfkopf auf mich zugefahren, von innen beleuchtet wie ein chinesischer Lampion oder ein amerikanischer Kürbis zu Halloween. Und für die Zeit zwischen zwei Herzschlägen bin ich bei lebendigem Leib begraben. Ich trete gegen die Tür, sie schwingt auf und das versöhnliche Licht der Wirtsstube strömt zurück in den Kobel.
Ich lasse den Fuß in der Tür, als ich die Lampe anknipse und ein paar Münzen aus der Hosentasche krame. Und jetzt erst kommen der Schweißausbruch, die Übelkeit, das Herzrasen.
Die Dame in der Telefonzentrale des Sicherheitsbüros muß am kläglichen Klang meiner Stimme erkannt haben, daß hier ein ganz dringender Notfall am Rohr ist, denn sie wechselt stufenlos vom anfänglichen behördlichen Desinteresse zu behördlichem Mitgefühl.
„Tut mir leid“, sagt sie, „aber der Herr Gruppeninspektor Brunner ist nicht mehr bei uns. Aber vielleicht. . .“
„Was? Wieso?!“
„Tut mir leid. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Herr Gruppeninspektor Brunner ist seit erstem Jänner in Pension. Aber vielleicht kann Ihnen sein Nachfolger weiterhelfen. Momenterl. Ich verbind Sie hinauf. . .“
„Danke“, sage ich, „aber der nutzt mir nix.“
Zu spät. Eine neutrale Tonbandstimme will mich eben um etwas Geduld bitten, als ihr das schrecklichste Organ, das mir jemals im Leben ans Ohr gedrungen ist, das Wort abschneidet.
„Gruppe Skocik. Skocik“, frißt sich die Stimme wie Salzsäure durch meine Gehörgänge.
Ich bin sprachlos.
Brunner ist nicht mehr. Dieser begnadete Kriminalist und kompetente Trinker, mit dem ich – stets im Beisein eines Flascherl Scharlachberg – so viele wertvolle, lehrreiche aber auch fröhliche Stunden verbracht habe, fristet irgendwo (und mindestens fünf Jahre vor der Zeit) sein trauriges Pensionistendasein, während sich Skocik, sein ebenso unfähiger wie unerträglicher Juniorpartner, solariumgebräunt im Chefsessel räkelt.
„Hallo. Skocik. Sprechen Sie!“
Der Mann ist wie seine Stimme. Ein wandelndes Säureattentat.
An ihn würde ich mich nicht einmal dann um Hilfe wenden, wenn man versucht, mich bei lebendigem Leib einzumauern. Und Skocik würde auch nicht helfen. Da bin ich ganz sicher. Im Gegenteil. Er wäre seinen Göttern ewig dankbar, noch so einen Freigeist an dem Platz zu wissen, wo sie seiner Überzeugung nach alle hingehören und wo er sie per Dekret auch hinverschicken würde, wenn er und Seinesgleichen im Land das Sagen hätten.
„Hallo! Melden Sie sich!“ ätzt es aus dem Hörer.
Ich lege auf. Und als ich die Telefonzelle verlasse, um zu den Burschen und den sich himmelhoch auftürmenden Problemen zurückzukehren, macht sich in mir eine abgrundtiefe Ratlosigkeit breit.
7
„Also früher, im Blutrausch , zum Beispiel, oder im Hitzschla g , hast du immer wenn’s eng geworden is, den Trainer angerufen, und der hat dann den Doktor Trash beigezogen“, sagt Axel, als wir vom Quell zu meiner Baustelle schräg gegenüber wechseln.
Es schüttet. Wir schlagen die Krägen hoch und rennen.
„Und was haben die zwei Spezialisten gebracht, außer Zores?“ erkundige ich mich bei meinem Stammleser, als wir die Fahrbahn überquert haben. Auch wenn jetzt, allen meteorologischen Prognosen zum Trotz, die Frühlingssonne hell auflachen würde, wäre dieser Tag nicht mehr zu retten. Ich fühle mich unendlich schwach und müde.
„Naja“, weiß Axel. „Der Trainer hat immer eine ziemliche Power.“
„Und der Doc“, begeistert sich Ronnie, „is killer- und datenmäßig sowieso der Wahnsinn!“
Ich weiß nicht, wie ich Axel und Ronnie auf die Schnelle erklären soll, daß Dichtung und Wahrheit im Grund zwar Tür an Tür wohnen und auch ein gut nachbarschaftliches Verhältnis pflegen, das
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