Kurtisanen leben gefaehrlich
also darin ausgebildet, nicht aufzufallen, wenn sie nicht auffallen wollte. Eine wahrhaft perfekte Spionin ihrer Herrin in jeglicher Hinsicht, sofern sie nicht ihre eigenen Ziele verfolgte, was ich nicht für ausgeschlossen hielt.
Ohne lange darüber nachzudenken, begab ich mich zu einem der Sofas, auf denen ich schon früher an diesem Tage mit Signora Santi gesessen hatte, und setzte mich darauf nieder, um auf die Artista zu warten. Meine Augen wanderten durch den Raum und musterten noch einmal die Kunstwerke.
Für einen Moment fragte ich mich, ob die Dargestellten auf der Leinwand ebenso alterten wie im wirklichen Leben. Alle, die hier zu finden waren, wirkten so wie vor den wenigen Wochen, als ich sie noch mit eigenen Augen gesehen hatte. Alle, außer meiner Mutter, die als junge Frau dargestellt war. Hatte die Artista sie womöglich aus irgendeinem Grunde nicht beobachten können? Die Frage drängte sich mir förmlich auf, als ich alle anderen der Reihe nach prüfend ansah und mit den Bildern in meiner Erinnerung verglich.
In meine Beobachtungen versunken, bemerkte ich das Eintreten der Artista kaum. Ebenso wenig wie den Umstand, dass sie mich reglos beobachtete, bevor sie sich endlich bemerkbar machte. Ertappt wandte ich mich zu dem Türbogen um, von dem aus Beatrice Santi in ihrem weiß schimmernden Kleid den Raum betrat. Das Gesicht streng und kalt, beinahe wie aus Marmor gehauen und anschließend poliert, um für die Ewigkeit erhalten zu bleiben. Auch ihre Stimme stand ihrem geschäftsmäßigen Ausdruck in nichts nach und ich bemühte mich, ebenfalls so kühl zu wirken, wie sie es tat, als ich mich erhob und vor ihr knickste. Die Artista ließ sich schließlich auf dem mir gegenüber liegenden Platz nieder.
»Wie ich sehe, findest du an deinen eigenen Kleidern mehr Gefallen, als an jenen, die ich dir habe anfertigen lassen, Ginevra. Oder sollte ich dich Lukrezia nennen, wie es dir als Kurtisane gebührt?«
Der Fürstin sagte mein Verhalten offenbar nicht zu. Dies war jedoch nichts, was mich sonderlich berührte, schlug einer Kurtisane doch selten die Gegenliebe einer anderen Frau entgegen, sei sie nun Fürstin oder Bauersfrau. Ich blickte sie an und hielt meine Stimme gleichmäßig und ohne erkennbare Gefühlsregung, als ich ihr antwortete.
»Ich gebe nicht vor, etwas zu sein, das ich nicht bin, Signora. Nennt mich, wie es Euch beliebt.«
Ihre Augen verengten sich für einen kurzen Augenblick, dann wurde ihre Miene so eben und ausdruckslos wie zuvor, zeigte keine Emotion mehr, die einen Hinweis auf ihre Gedanken gab.
»Es ist bedauerlich, dass du es ablehnst, den Weg der Artiste einzuschlagen. Doch ich warne dich, es ist gefährlich, die Kräfte, die du in dir erweckt hast, nicht auszubilden und es könnte dir selbst und jenen, die du liebst, Schaden zufügen.«
Ich nickte knapp. Die Artista berichtete mir nichts, was ich nicht zuvor schon herausgefunden hatte, doch ich empfand es als verwunderlich, dass sie mich scheinbar gerne in eine Rolle drängen wollte, die ich nicht zu spielen bereit war.
»Ich glaube nicht, dass man mich jemals unter den Artiste akzeptieren würde, Signora Santi. Ich bin in ihrer aller Augen nichts weiter, als die Bastardtochter einer Fürstin, die als Kurtisane ausgebildet worden ist. Meine Überlebenschancen erscheinen mir gering, wenn ich näher darüber nachdenke. Ohne Zweifel seid Ihr zu dem gleichen Schluss gelangt.«
Beatrice Santi stieß ein Geräusch aus, das ich als amüsiertes Kichern wertete und ihre Augen funkelten für einen flüchtigen Moment vergnügt, was mich noch weitaus mehr verwirrte. Ich fragte mich, was wohl der Grund für ihre Belustigung sein mochte. Allerdings wurde ihr Amüsement schnell von Ernst überlagert.
»Die Artiste sind ohne Zweifel grausam, Ginevra, doch es gibt Dinge, gegen die selbst sie nichts ausrichten können. Dein Leben ist ohnehin in Gefahr, wenn du auf deinen Platz an Andrea Lucas Seite beharrst, ebenso wie das seine und das eurer Kinder. Dies ist das Schicksal, über das ihr euch im Klaren sein müsst, wenn ihr nicht voneinander lassen könnt. Doch du entstammst einer der großen Blutlinien, selbst wenn dein Vater ein einfacher Maler ist, und so kann keine gewöhnliche Artista es wagen, dich einfach zu töten und die Kraft in dir auszulöschen, ohne eine schreckliche Strafe zu riskieren. Das Blut, das in deinen Venen fließt, ist zu stark, ebenso wie das Blut in Andrea Lucas Adern.«
Ich war erschrocken darüber, wie weit
Weitere Kostenlose Bücher