Kurtisanen leben gefährlich
schließlich vor der Tür.
»Alesia? Geht es dir gut, mein Kind?«
Alesia ließ sich Zeit mit der Antwort und blickte mich mit einem seltsamen Glitzern in den Augen an. Die Sekunden verstrichen endlos langsam und quälend, bis sich ihre Lippen erneut zu einem Lächeln verzogen.
»Es geht mir gut, Mutter. Ich hatte nur einen schlechten Traum. Sorge dich nicht.«
Mit wachsendem Schrecken sah ich in dem durch die Himmelskörper nur schwach erhellten Raum, wie sich der Türknauf zu drehen begann, und machte mich bereit, sofort aufzuspringen. Meine freie Hand fuhr zu meinem Rapier und zog es halb aus der Scheide, bis Angela della Francesca in der Bewegung innehielt und den Türknauf zurückschnellen ließ. Noch einmal erklang die Stimme der resoluten Signora.
»Du solltest versuchen, noch ein wenig zu schlafen, mein Liebes.«
Das Lächeln auf Alesias niedlichem Gesicht hatte sich vertieft und wirkte engelsgleich. Sie genoss meine prekäre Situation mit jeder Faser ihres Seins.
»Aber ja, Mutter. Verzeih, dass ich dich geweckt habe.«
Angelas Schritte verklangen allmählich. Ich hörte, wie eine Tür geöffnet wurde und schließlich mit einem leisen Geräusch in das Schloss zurückfiel. Erst jetzt wagte ich es, auszuatmen und meine verkrampften Muskeln zu entspannen. Alesias Blick ruhte auf mir. Ich musterte sie kühl, versuchte, das unterbrochene Gespräch wieder aufzunehmen.
»Ihr wolltet mir gerade etwas erzählen. Und Eurem Lächeln zufolge könnt Ihr es kaum noch erwarten.«
Das Gesicht der jungen Artista verzog sich zu der selbstgefälligen Miene, die sie damals in meinem Salon zur Schau getragen hatte, als sie ihre Nachforschungen über meine Identität zum ersten Mal enthüllt hatte. Ich wartete gespannt, welche Teufelei sie nun wieder ausgebrütet hatte.
»Ich werde Euch gerne zeigen, woher ich das weiß,
Lukrezia
. Aber dazu müsst Ihr mir gestatten, mein Bett zu verlassen. Ich schwöre Euch, dass ich nichts anstellen werde, das Euch in Gefahr bringen könnte.«
Sie betonte meinen Namen auffällig und kicherte dann.
Ich erhob mich wachsam, dabei keine ihrer Bewegungen aus den Augen lassend, und ließ sie aufstehen. Alesia war nur in ein dünnes Nachthemd gekleidet, machte aber keinerlei Anstalten, zu dem Überwurf auf einem ihrer Stühle zu greifen und sich zu bedecken. Sie lief zu der Tür hinüber, die in das Nebenzimmer führte. Ich wollte es nicht als Atelier bezeichnen, denn dies hätte mich zu sehr an Angelina erinnert, die als Malerin tätig war und ich mochte sie noch nicht einmal geistig mit Alesia und ihrer Art der Malerei in Verbindung bringen.
Mit nur wenigen Handgriffen hatte die Artista eine Öllampe entzündet, die den Raum mit einem warmen Leuchten erfüllte. In solch unmittelbarer Nähe zu den Arbeitsgeräten einer Malerhexe war ich auf der Hut. Es war keine Erfahrung, nach deren Wiederholung ich mich sehnen würde, wenn diese Nacht überstanden war. Sie verursachten mir ein körperliches Unwohlsein, das sich schleichend in mir ausbreitete.
Alesias Schritte hingegen waren voller Leichtigkeit und Schwung. Sie freute sich auf das, was sie mir vorführen wollte. In vielerlei Hinsicht war das Mädchen noch jung und beeinflussbar, in anderen Punkten war sie allerdings so raffiniert und verschlagen wie eine um zehn Jahre ältere Frau. Ihre Füße trugen sie schnell zu einer großen, mit einem weißen Tuch verhüllten Leinwand, das sie vorsichtig davon entfernte. Es war mir nicht möglich, einen erschrockenen Laut zu unterdrücken, als das, was darunter verborgen war, zum Vorschein kam.
Von der Leinwand sah mir Andrea Luca entgegen, lebensgroß und so detailgetreu, als stünde er vor mir. Ich war erschüttert über diese Darbietung von Alesias Kunstfertigkeit. Die Artista würde eines Tages mächtig werden, sehr mächtig sogar.
Alesia erfreute sich an meiner Reaktion und murmelte Worte in einer Sprache, die sich meiner Kenntnis entzog. Ich konnte spüren, wie sich Macht in dem kleinen Raum sammelte und nach mir griff, sie erfüllte Alesia und bündelte sich in ihr. Dann strich sie über das Bild und erweckte es zum Leben. Ich sah noch immer Andrea Luca, dort auf diesem Bild, doch nun lebte er. Er schlief, atmete, bewegte sich unruhig in einem Traum, der uns verborgen blieb.
Ich wollte zu ihm gehen, ihn berühren. Doch Alesia hielt mich zurück, machte mich zu einer hilflosen Zuschauerin, bis sie das Bild mit einer schnellen Bewegung ihrer Hand und einem befehlenden Wort erstarren
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