Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
ihr, am meisten erinnere ich mich an ihr milchig muschelweißes Gesicht und die dunklen verträumten Augen. Sie war die größte und vermutlich klügste von uns, wenigstens ging es ihr in der Schule besser als uns. Allerdings glaube ich, dafür, dass Papa sie lieber hatte als uns,
war sie zu faul. Sie hat es nicht verdient. Dass er sie lieber hatte, sagte er erst, als sie starb, aber wir alle hatten es schon früher gewusst.
Als ich Papa aufsuchte, um ihm die kleine Dolgorma zu zeigen, seine erste Enkelin und die vierte dieses Namens in unserer Sippe, begann er sofort von Magi zu sprechen und gerührt den Rotz hochzuziehen, also griff ich sie mir wieder und ging, einen Vater, für den ich nicht gut genug bin, werde ich nicht bedauern.
Das war viele Jahre, nachdem Magi als erstes und dank Burchan vorläufig einziges der Kinder von Alta und Tuuleg, meinen Eltern, beim Naadam umgekommen war.
Als wir noch klein waren und Ojuna noch im Sansaar herumirrte oder eine Bergziege war oder in einem entfernten Aimak ein Greis an der Schwelle zum Tod, konnte Nara von uns allen am besten reiten. Mama hatte damals noch kein einziges graues Haar, und Papa fing, wenn er in einen Wolfspelz gehüllt neben einem Tarbaganloch wartete, immer mindestens zwei oder drei Steppenmurmeltiere.
Wenn wir uns dann satt gegessen hatten und Papa nicht sofort zur Herde musste, setzte er uns in kleine Sättel, und wir ritten langsam in einer Reihe hintereinander. Papa führte und wir ritten und hatten unsere Finger in den Nacken unseres Pferdes gekrallt, und aus der Mähne wehte uns der Duft von sonnenwarmem Pferdemoschus in die Gesichter, und das raue Rosshaar kitzelte uns.
Manchmal ritten wir zu zweit auf einem Pferd, am besten war, mit Papa zu reiten. Ich konnte mich hinten anlehnen und in den Haaren die Bewegungen seiner Hände spüren, wie sie dem Pferd bedeuteten, was es zu tun hatte. Mama unternahm
nur manchmal einen Ausritt mit uns, sie ritt nur, wenn es notwendig war, für Ausflüge, die nicht mit der Anbetung des Owoo oder einem Besuch bei Munchtsetseg und Majdar endeten, hatte sie kein großes Verständnis. In diesem Punkt war sie wie Großmutter. Sie hatte auch Angst um uns, und wäre es nach ihr gegangen, hätten wir viel später reiten gelernt, und Nara hätte im Aimakrennen der dreijährigen Kinder nicht die Zweite sein können, und Magi wäre vielleicht nicht ums Leben gekommen, weil sie sich nicht zugetraut hätte, das größte Pferderennen unseres Landes - das Naadam - zu reiten.
Ich ritt immer ganz leidlich, aber mit Nara konnte ich es nicht aufnehmen. Als wir ungefähr die fünften Ferien daheim waren, endlich wieder für zwei Monate weg vom Internat, begann sich Magi, Burchan weiß warum, wahnsinnig zu verbessern. Die nächsten und etwa zwei weitere Ferien waren ausgefüllt von wilden Wettkämpfen meiner Schwestern.
Nara wollte ihren Vorrang nicht abgeben, und so war ich tagelang mit Ojuna zusammen oder nahm Tiere aus und kochte mit Mama im Ger, während Magi und Nara den ganzen Aimak abritten, um sich miteinander zu messen, obwohl das keine je aussprach. Sie ritten einfach neue Sättel ein, trainierten zweijährige wilde Stuten oder jagten unter dem Vorwand, einkaufen zu reiten, ins Somonzentrum und wieder zurück. Am Abend kamen sie hochrot heim, stolperten über ihre Beine, und ich hatte niemanden zum Schafsknöchelspiel, weil sie sich sofort niederlegten und schliefen. Ich konnte Magi damals noch weniger ausstehen als gewöhnlich, weil Nara doch mir gehörte und Magi sich nahm, was mein war. Nara sollte verlieren, damit ich sie an mich drücken und trösten könnte, damit sie endlich erkennen würde, dass ich sie wirklich mochte und nicht nur wegen eines Rennens wie
Magi. Aber bald klärte sich alles von selbst, die Schwestern beendeten ihre ganztägigen Ausflüge, und Magi begann sich langsam aufs Naadam vorzubereiten.
Das Naadam am elften und zwölften Tag des siebten Monats ist in allen Aimak- und Somonzentren ein großes Ereignis, das größte überhaupt in der Hauptstadt. Außer Pferderennen finden noch Ringkämpfe statt und Bogenschießen, aber das kam mir nie so interessant vor.
Im Sommer vor dem Naadam ritt Magi wieder jeden Tag. Sie war zu der Zeit sechzehn oder siebzehn Jahre alt, und die Eltern begannen von Heirat zu sprechen, doch ist die Welt vom Rücken eines Pferdes aus, denke ich, furchtbar flüchtig und unscharf, und Magi konnte in diesem verwischten Farbfleck des Somonzentrums, an dem sie tagtäglich
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