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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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sind sie und nicht wir, taten wir, als würden wir uns nichts draus machen. Aber ganz ging das nicht. Uns beiden war klar, dass etwas nicht in Ordnung war, schließlich sind normale Haare schwarz wie die Nacht, schwarz wie der Zopf unserer Magi, die alle seit jeher mochten.
    Zum ersten Mal fiel mir das eigentlich erst in der Schule auf.
    Damals, als in Dordschs Ger ein Hund abhandenkam.
    Es wurde in der Schule viel davon geredet, weil Dordschs Ger im Somonzentrum das allererste im Osten von den Roten Bergen her war und aus dieser Gegend immer viele Kinder stammten, so auch Nara, ich und Magi.
    Der Hund bellte in einem fort und rannte mit gefletschten Zähnen hin und her, und aus dem Maul rann ihm der Geifer und bildete auf dem Boden dunkle Pfützchen. Er war auch von ungewöhnlichem Wuchs, und daher kannte ihn jeder.
    Dann war er weg. Verschwunden. Mir nichts, dir nichts, von heute auf morgen, und er tauchte nie wieder auf. Nara und ich gingen damals schon zur Schule und wohnten über ein Jahr im Internat.
    Einige Tage später, nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, tauchte an einer der Klotüren eine mit einem Messer ins Holz geritzte Aufschrift auf: Wer nicht weiß, wohin der Hund von Dordsch verschwunden ist, soll in die Kloschüssel schauen … und dann mein Name. Und ab da begannen sie es zu sagen.

    Vielleicht war es ein Fehler, dass der mit dem Messer eingeritzte Satz so viele Jahre lang dort blieb. Er wurde zwar allmählich dunkler, verschwand dann langsam, und schließlich wurde die Holzhütte neben dem Internat abgerissen. Doch da ging ich bereits nicht mehr zur Schule, und niemand zweifelte daran, dass mit meiner Mama etwas nicht in Ordnung war.

    Was man im Somonzentrum tat, war bei uns daheim im Grunde zu nichts zu gebrauchen und umgekehrt.
    Mit der Zeit begannen sich diese zwei Welten immer mehr voneinander zu entfernen. Nara, Magi und ich verbrachten den Großteil der Zeit im Internat, und das elterliche Ger wurde auf diese Weise zu etwas so Besonderem und Provisorischem, wie uns an jenem ersten warmen Septembermorgen der Chuuchdijn Tsetserleg vorgekommen war.
    Ich war in unserem weißen, mit Stricken umwickelten Filzzelt mit dem Haufen Argal zum Heizen, den Wolfshunden und der Tür, auf deren heilige Schwelle, soweit ich zurückdenken kann, nie jemand getreten war, in diesen Jahren mehr in meinen Träumen als in der Wirklichkeit. Und nicht einmal nachher sollte sich das eigentlich ändern.
    Diese schrecklichen Nächte im Internat, als ich ungefähr zehn Jahre alt war, werde ich nie mehr vergessen können. Mama und Papa waren unauffindbar. Diese Träume waren erfüllt von Raubtiergeheul, unser Winterlager im Windschatten der Berge war leer, da war nichts, wohin ich zurückkehren konnte. Weil sie nicht auf mich gewartet hatten. Und in der Ferne sah ich deutlich das Schaukeln, wie es unsere Kamele machten, wenn sie unser gesamtes orangerotes geschnitztes Mobiliar schleppten und sämtliche Dachstangen und den hölzernen Mittelpfeiler, der unser Ger stützte und auch den
Himmel, damit er nicht herunterfiel, weit und breit war nichts zum Himmel emporgerichtet, nur die Berge, die uns den Rücken deckten, doch hätten diese gleichgültigen Steinkolosse allein den Himmel nie halten können. Ich lief in diesen Träumen viel, jagte hinter irgendetwas her, unsere Familie verschwand indessen hinter dem glutroten Horizont, und ich ahnte einen Zusammenhang mit jener Aufschrift in der Bude, wohin ich urinieren ging und auch, um dort zu hocken, wenn ich niemanden, nicht einmal Nara, sehen wollte. Auf die eingravierten Worte guckten alle, wenn sie im Halbdunkel dort drückten. Sie waren mit großen leserlichen Buchstaben eingeritzt.
    Nara schlief neben mir, aber in diesen Nächten war ich allein. Zusammen nur mit dem Raubtiergeheul, aus dem ich mitunter Ojunas klägliches Weinen heraushörte, so hatte sie immer geweint, wenn ich sie mit Uuregma erschreckte und sie schon vernünftig genug war, um zu wissen, dass sie ohne Mama unter uns verloren war, in diesen Nächten litt ich an den ersten Gewissensbissen.
    Vielleicht erlebte auch Nara solche Nächte, aber vermutlich nicht, ich kam, wenn es nicht mehr auszuhalten war, mehrmals in der Nacht zu ihr, sie aber nie zu mir.
    Magi schlief im Schlafraum bei den älteren Kindern, und daher weiß ich nicht, wie es ihr ging. Aber ich glaube nicht, dass Magi so schlimme Nächte gehabt hat. Sie sprach nie viel mit uns und spielte nicht unsere Spiele.
    Ich weiß nicht viel von

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