Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
mich Tätigkeiten aus, damit wir Papa alleine ließen und die Zeit nicht mit Herumsitzen neben dem Ger und mit Gesprächen über Magi verbrächten. Durch Schartsetseg war unser Tag von morgens bis abends ausgefüllt mit einer Menge unterschiedlichster kleiner Arbeiten, die mich anödeten. Ich begriff nicht, warum wir die Gerplane reinigen und so unnötig komplizierte Speisen kochen sollten, wo uns doch bis jetzt auch immer Chuurag mit Buuz genügt hatte, aber ansonsten liebten Nara und ich Schartsetseg.
Bei Mama hatten wir nie Hunger gelitten und uns vor nichts fürchten müssen, sie kümmerte sich auch darum, dass wir einmal pro Monat den Deel wechselten. Wenn wir krank waren, stützte sie uns den Kopf, damit wir trinken konnten, und sie gab uns immer ihr Fleisch, wenn Papa hungrig war und das Schaf nicht für alle reichte. Ansonsten war mit Mama aber nicht viel los. Schartsetseg lachte und konnte so lustig reden, dass Nara und ich uns auf dem Boden krümmten, bis uns der Bauch wehtat und das ganze Ger von diesem Tumult erbebte, so dass Papa ganz weit wegging und sich statt einer Flasche lieber zwei mitnahm. Und dann, wenn nur sie und wir in der Jurte zurückgeblieben waren, erzählte sie uns Spukgeschichten.
Mit offenem Haar erinnerte sie im dunklen Ger an Uuregma, ähnlich wie früher Großmutter, und ich stellte mir vor, wie schrecklich sich Ojuna wohl gefürchtet haben musste, wenn wir sie mit dieser bösen Alten erschreckten. So gut wie Schartsetseg konnte sich niemand Geschichten ausdenken.
Jede ihrer Geschichten war ganz anders, und alle waren
gleich geheimnisvoll und wild. Draußen heulte der Schoroo, das Ger wellte sich, und sandige Windstöße knisterten über die Matten, in der Steppe krochen die Schlangen hervor und aus den Bergen drang Wolfsgeheul zu uns, ich spürte, dass alle Geschichten von Schartsetseg wahr waren. Als ich das Mama zuflüsterte, sagte sie nur, ich hätte eine blühende Phantasie. Auch deswegen war Schartsetseg besser.
Mamas Schwester war der erste Mensch aus der Stadt, den ich kennen lernte. Und weil jetzt ich die Älteste war, versprach sie, mich mitzunehmen. Nachdem Papa begonnen hatte, seine Männerarbeiten wieder normal zu erledigen, und bevor Mama Schartsetseg wegschickte, nahm mich Gelbe Blume einmal zur Seite. Ich hatte noch drei Jahre Schule vor mir, war aber bereit, meinen Festtagsdeel einzupacken, mir Trockenfleisch zu greifen und noch am gleichen Tag zu fahren. Schartsetseg aber sagte Surguulijg togsoch jostoj, und so blieb mir nichts anderes übrig, als drei Jahre zu warten.
Drei Jahre voller Phantasien vom wirklichen Leben, das irgendwo ungestört dahinfloss und von mir nichts wusste. Drei Jahre, die ich in gespenstischer Teilnahmslosigkeit verbrachte, weil nichts von dem, was ringsum geschah, mir gut genug war. Ich trug Schartsetsegs Versprechen in mir und wollte an den Ort, um den die Träume aller jungen Mädchen aus den Somonzentren kreisten und sich wie Nachtfalter die Flügel verbrannten.
Schartsetseg kam tatsächlich in dem versprochenen Sommer.
Sie tauchte unerwartet bei der Abschiedsfeier im Kulturhaus unseres Somons auf. Das Kulturhaus platzte an diesem Tag aus allen Nähten. Die kompletten Familien aller, die gemeinsam mit mir in diesem Jahr die Somonschule beendeten,
waren gekommen, um ihre Nachkommen feierlich zum letzten Mal abzuholen, sie diesmal für immer in ihre Welt mitzunehmen.
Wir hatten Stühle in den Saal geschleppt, Tawtaj morilnoo! auf ein großes Papier über dem Podium geschrieben, und der Schuldirektor hielt eine feurige Rede über unsere Zukunft.
Unsere Schule hatte auch berühmte Absolventen. Tsuuleg war Nationaladler im Bogenschießen, Dawaa heiratete einen Darga des Chöwsgöl-Aimak, und die Zwillinge Uram und Tsagaanbulag hatten vor zwei Jahren in der Hauptstadt ein Geschäft mit Autozubehör eröffnet, angeblich ging es ihnen sehr gut.
Zwischen unseren Stühlen quetschten sich Mitschüler durch und verteilten aus Schachteln Äpfel und Aaruulstücke, die das Somonpräsidium für diesen Anlass aus öffentlichen Mitteln gekauft hatte. Schartsetseg saß in der ersten Reihe, sie musste unglaublich früh gekommen sein, um diesen Platz ergattert zu haben. Als wir auf dem Podium Jawuuchuulans Gedichte rezitierten und dann einzeln zum Vorsitzenden traten, um ihm die Hand zu schütteln, zwinkerte sie mir ununterbrochen zu. Mein Zeugnis war eins der besten, zurück im Ger lehnte es Mama an unseren kleinen Burchan, ich weinte ein bisschen
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