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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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mit Nara, und Papa gab mir ein paar Ratschläge, damit ich in der Stadt nicht gleich jemandem auf den Leim ginge, er war dort gewesen und traute niemandem, und das sei die sicherste Art, nicht unter die Räder zu kommen.
    Für Ojuna hatte Schartsetseg eine riesige Haarschleife mitgebracht, so eine, wie sie die kleinen Russinnen tragen, und als sich Ojuna von mir verabschiedete, sah sie aus, als hätte sich in ihrem Haar ein zitternder himmelblauer Vogel eingenistet.
    Die Fahrt war sehr schlimm. Kaum waren wir aufgebrochen,
stürzten die Tenger Wasserströme vom Himmel, und die Steppe, die nicht gewohnt ist zu trinken, verwandelte sich binnen zwei Stunden in ein endloses Sumpfland, in dem unser Jeep alle naselang mit den Rädern ins Leere scharrte, und Schartsetseg und der Fahrer, beide klatschnass, schoben an.
    Ich saß auf meinem Sack mit meinen Sachen und guckte aus dem Fenster, weil ich den Festtagsdeel von Mama nicht schmutzig machen wollte, und Gelbe Blume hatte ja auch gesagt, ich solle sitzen bleiben.
    Aus den Roten Bergen führt keine Straße in die Stadt, aber unsere Fahrer kennen ihren Weg wie die Tiere, und sogar wenn sie in der Nacht fahren oder betrunken, verirrt sich nie einer von ihnen, und so kurvten wir Stunden um Stunden durch Gebirge, wo nur die verdrehten Klauen von Bäumen und hie und da eine Kamelstute mit einem Jungen an Leben gemahnten, dann wieder glitten wir hinunter zu Ebenen, wo wir zwischen den Horizonten ganz allein waren, und ich sagte mir, es werde schon jeden Augenblick was kommen, aber wir erreichten erst am Abend drei stolze einsame Jurten und bekamen für ein paar Tugrik ein Nachtlager samt einer Nudelsuppe, am nächsten Morgen fuhren wir gleich weiter.
    Unsere Familie hatte verschiedene Lager, außer unserem Lieblingsplatz in den Roten Bergen noch eines beim Baga Uul, nahe Murom, und ein viertes, das Risunok genannt wurde, weil die dort in der Nähe befindlichen Felsen voller Risunki waren, uralten Zeichnungen und Ornamenten unserer Vorfahren, die niemand verstand. Risunki gab es auch in den Roten Bergen.
    Irgendwie nannten wir die meisten dieser Orte Rote Berge. Dabei waren sie bei Schlechtwetter sogar mehrere Tage voneinander entfernt. Aber eine so weite Strecke wie mit Gelber
Blume in die Stadt war ich vorher noch nie gefahren. Die Welt war viel größer, als es überhaupt vorstellbar war, und wuchs hinter jedem Hügel noch weiter und weiter, und so ging es endlos.
    Einmal nahmen wir eine Mutter mit einem Baby in einem Bündel ein Stück mit, beide schon ziemlich ausgetrocknet, wie sie dort stundenlang in der Hitze gewartet hatten, ich fragte mich, ob diese Leute irgendwie anders wären als wir. Zu dem Zeitpunkt blieb uns bis zur Stadt nurmehr weniger als ein halber Tag, und dort sollte alles vollkommen anders sein. Die Mongolin schwieg die ganze Fahrt lang und ließ sich ohne ein einziges Wort des Dankes mit dem Baby bei ihrem Ger absetzen.
    Nach einer weiteren Stunde guckte hinter einem Hügel der erste Schornstein des Kohlekraftwerks von Ulan Bator hervor. Ich wollte den Flughafen sehen, aber der lag weiter weg, damit die Flugzeuge nicht auf die Häuser fielen, und so wurde nichts draus. Aber ich sah das größte Kaufhaus in unserem Land. Ein strenges hohes Glasgebäude, gegenüber ein Zirkus aus Beton, und auf beiden Straßenseiten lauter kleine Stände mit bunten Keksen, braunen und grünen Flaschen mit Limonade, auch kleine Ladentische mit Obst, einer Waage und einem Telefon gab es da und Weiber, die stückweise zerquetschte Zigaretten verkauften.
    Als wir auf der Straße tiefer in die Stadt hineinfuhren, wurde alles immer dichter, und die Menschen wuselten immer schneller und chaotischer herum, bis wir hinter dem Hauptplatz nach links oben abbogen, hier schienen die Menschen irgendwohin zu versickern, man sah nun nurmehr ungefähr so viele, wie in unserem Somonzentrum zum Naadam zusammenkommen, und ich atmete auf, das kannte ich.

    Schartsetsegs Mikrorayon heißt Sansaar. Ein gutes Viertel. Es wohnen dort solide Familien, die schon lange in der Stadt leben, und es gibt nur wenige Chinesen und überhaupt kaum andere Völker unter den hier Ansässigen, was gut ist. Schartsetseg bezahlte mit dem Geld, das ihr Mama in die Hand gedrückt hatte, als wir bei uns aufgebrochen waren. Ich hatte das unangenehme Gefühl, Mama hätte sich mit diesem Geld freigekauft. Aber es dauerte nur einen Moment, weil der Mongole, der uns gefahren hatte, dann wegging, Schartsetseg mir ein Stück

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