Kurzes Buch ueber das Sterben
an der Wand. Fast wie ein Schatten. Als wäre er nicht aus Fleisch und Blut. Ich sagte etwas, aber es ging unter. Er hörte es, aber er hörte nicht zu. Er ging neben mir, aber es war jetzt anders als früher, wo wir uns immer fast wie Zwillinge bewegt hatten. Ich sagte: Lass uns in den Delphin gehen. Er stimmte zu, aber wie aus der Ferne oder wie aus der Tiefe, irgendwie mechanisch. Der Delphin, gleich am Platz des 1. Mai, war in Ordnung. Dorthin gingen die Einheimischen. Fünfzigjährige Paare, die aussahen wie beim ersten Rendezvous. Eng, stickig, Bratgeruch, an den Wänden Fischerei- und Meereskram. Ich weiß nicht mehr, was wir bestellt haben. Vielleicht Tintenfisch, mit Sicherheit Fisch und Salat und höchstwahrscheinlich Malvasia, das heißt einen einheimischen Weißwein. Ich redete und redete, an diesem Tisch in der rechten Ecke. Als wollte ich alles wegreden. Plötzlich stellte sich heraus, dass sich alles verändert hatte. Wir würden uns trennen, und weder er noch ich waren daran schuld. Zum ersten Mal hatte das Leben uns ausgetrickst. Ja. Er dachte schon an den Tod, und ich Klugscheißer noch nicht. Wir saßen in der Ecke. Das Licht war gelblich. Die Einheimischen in alten Anzügen und Kleidern wie an Silvester. Sie schauten hin und wieder herüber. Wir redeten beide dumm daher. Versuchten zu entkommen. Die Jungs aus Grochów, durch eine Laune plötzlich ans Mittelmeer versetzt. Hinterwäldler, die erst mit der Zeit gelernt hatten, auf ihre Herkunft stolz zu sein. Panierter Fisch, vielleicht Tintenfisch, ich weiß es wirklich nicht mehr. Mit Sicherheit Weißwein. Mit Sicherheit mehr als der Verstand gebot. Er war blass und gelblich wie das Licht dort. Vor der Wand in der Ecke. Wie abgehetzt. Als wäre er tausend Kilometer gefahren, um sich zu verstecken. Ich schaute ihn an im Restaurant Delphin in der Stadt Piran und sah, dass er zerbrechlich geworden war; er erinnerte an einen Vogel, der die Kraft verloren hat. In der Stadt Piran, auf italienisch Pirano.
Jetzt greife ich mit der Erinnerung so weit wie möglich zurück. Er hat eine braune Wildlederjacke an. Von der Trommel angelockt, kommt er in die Klasse. Ich versuche unbeholfen, einen Rhythmus zu schlagen. Zum ersten Mal sitze ich hinter einem richtigen Schlagzeug. Er kommt herein, schon an der Tür lächelt er, als hätte er das fehlende Stück eines Puzzles gefunden. Nach fünf Minuten verlassen wir den Raum, um uns für die folgenden Jahre nicht mehr zu trennen. Um durch die Straßen der dunklen Stadt zu traben. Um Schneisen ins Dickicht zu schlagen, auf der Suche nach wildwachsendem Cannabis. Auf der Suche nach Ereignissen, auf die wir lauerten in den Fallen der gestohlenen Tage. Grochów. Zuerst Grochów. Żerań. Straßenbahnlinie 21: das Rückgrad des proletarischen Pragas. Die Typen im Zagłoba, die Typen im Grochowski, die Typen im Oaza, wie die Schatten unserer Väter. Als spielten wir ein Spiel. Wir gingen zu ihnen, bestellten Bier, wir standen neben ihnen, aber sie konnten uns nicht erkennen. Dann gingen wir wieder. Immer in Bewegung, immer unterwegs, tief im Dunkel der Stadt; das Echo von zerschlagenem Glas in der Nacht, die Schreie, kaum menschlich, fast schon tierisch, wie in einem kühlen Dschungel, der im Herbst nach verbrannten Blättern roch. Wie in einem Labyrinth, dessen Form und Größe schwer zu bestimmen ist. Kobielska, Podskarbińska, Grenadierów, Dziekie Pola, mit dem Gefühl, dass der warme und weiche Raum unter dem Druck unserer Körper nachgibt und wir bis ganz ans Ende gehen können, das nie kommen wird, weil wir durch die Unendlichkeit gehen. Später hatte er eine schwarze Motorradjacke mit schrägem Reißverschluss, um die ich ihn beneidete. Er war kleiner, etwas zierlicher, ich sah darin aus wie ein Clown. Ja. Etwas passiert mit der Zeit. Immer mehr. Die Ereignisse von früher sind so deutlich wie die jüngsten. Sie schimmern, scheinen durch. Und jetzt, da ich an sie denke, geschieht alles gleichzeitig. Die früheren schwimmen an die Oberfläche, die dunkle Tiefe öffnet sich, und schon sind sie da. Vielleicht ist nie etwas verlorengegangen? Und kehrt jetzt wieder? Die Szaserów und dann die Wiatraczna ganz bis zum Ende? Bis hinter die Gleise?
Wie ist das also – alles existiert weiter, und wir werden immer einsamer? Wie er, mit jedem Tag. Das denke ich, denn man kann ja schlecht den schleichenden Tod mit jemandem teilen. Wenn man einfach nur mit ihm gelebt hat. Im Laufe des folgenden Jahres rief ich ihn öfter an
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