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Kurzes Buch ueber das Sterben

Kurzes Buch ueber das Sterben

Titel: Kurzes Buch ueber das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Stasiuk
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wie nichts dabei. Ich ging in einen Laden und kaufte ein Küchenmesser mit gelbem Plastikgriff. Und Brot, weil wir Hunger hatten, und einheimischen Wein, denn wir wollten immer noch trinken. Wir machten ein Feuer. Außer uns war niemand da. Ein bisschen Müll, zwei, drei Rechtecke aus niedergetretenem Gras – Andenken an die vorherigen Camper. Manchmal fuhr auf der Straße ein Auto vorbei und hinterließ einen Schwaden Benzingeruch, der sich mit dem Duft von gemähtem Heu aus demDorf vereinigte. Also muss es Juli gewesen sein. Am Nachmittag kamen zwei Männer. Dunkelhäutig, sehnig, untersetzt. Die Tätowierungen waren auf der braunen Haut kaum zu sehen. Sie hatten eine Tasche voller Wodkaflaschen. Die Gitarre lockte sie an, sie setzten sich zu uns. Wild und furchterregend sahen sie aus. So kam es uns vor. Wir verstanden nicht ganz, was sie redeten. Am Morgen waren sie aus dem Gefängnis von Łupków entlassen worden. Sie schenkten Wodka ein und wollten ständig The House of the Rising Sun hören. »Im Gefängniskrankenhaus, in einem vergammelten Bett, stirbt ein unbekannter Junge.« * Das musste er ununterbrochen spielen. Etwas anderes wollten sie nicht hören. Weder Midnight Special noch Worried Man Blues noch Take This Hammer , obwohl das genauso von ihnen erzählte wie The House of the Rising Sun , vielleicht sogar noch mehr, denn das Gefängnis in Łupków bedeutete damals Arbeit in den Steinbrüchen, also Zwangsarbeit, gleichmäßiges Klopfen der Hämmer – die reinste Katorga-Romantik. Aber das ahnten wir nicht, undwir hatten ein bisschen Angst vor ihnen, obwohl sie nur zuhören und ihren Wodka mit uns teilen wollten. Wir waren Schöngeister und glaubten, das verfluchte Volk auf Erden sei schwarz, lebe ausschließlich in Amerika und mache dort seine Lieder. Indessen saß es vor uns, auf der nackten Erde, braungebrannt und drahtig von der Arbeit im Steinbruch. Wir schliefen dann ein, um kurz vor Anbruch der Nacht wieder aufzuwachen, nass vom Tau, am erloschenen Lagerfeuer. Die Männer waren nicht mehr da. Sie waren aufgebrochen, um weiter durch dieses seltsame Land zu ziehen, wo sich damals alle ein bisschen wie Verbrecher fühlten. Auch wir. Im Zug, auf der Straße, weitab von den ausgetretenen Pfaden fühlten wir uns wie Geächtete, wie Vogelfreie. Weil wir unserem Schicksal entwischen wollten, das fix und fertig auf uns wartete, weil wir Verräter waren. Wir krochen ins Zelt und schliefen bis zum Morgen. Zum Frühstück aßen wir das Brot und gelangten durchs Dorf an die Osława, dann gingen wir flussaufwärts, die Gleise der Schmalspurbahn entlang. In den Schattenflecken glitzerte Tau. Vom Fluss her roch es nach schwerer, kühler Luft. Den Weg kannten wir nicht. Wir wollten einfach so weit wie möglich den Berghoch, bis auf die andere Seite. Wir kannten keine Namen, hatten keine Karte. Ich glaube, wir verachteten sogar diejenigen, die Rucksäcke, schwere Stiefel, Karten, Vorräte und irgendwelche Kenntnisse besaßen. In einer Flussbiegung, mitten in der Strömung, stand ein nackter Mann auf einem Stein. Mit dem Rücken zu uns. Er wusch sich, indem er sich aus einem Gefäß mit Wasser übergoss. Ringsum nur Wald. Wir sahen weder irgendwelche Kleider noch Gepäck. Als wäre er einfach aus dem Dickicht aufgetaucht. Dieses Bild hat sich mir für immer eingeprägt, und ich glaube, es hat in gewisser Weise mein Leben beeinflusst. Am Nachmittag fiel starker Regen, wir irrten irgendwo an den Hängen des Chryszczata herum und wurden von der Dunkelheit überrascht. Regenzeug hatten wir nicht dabei. Irgendwann sahen wir ein Licht, eine einzelne Glühbirne über einer Tür. Es war eine Unterkunft von Waldarbeitern. Alle schliefen schon. Sie sagten, wir sollten uns auf die Pritschen legen. Sie waren trocken, warm, rochen nach Harz, Benzin und Mensch. Als wir aufwachten, waren die anderen Betten schon leer. Durchs Fenster fielen tiefe, schräge Sonnenstrahlen, und der ganze Raum sah aus wie aus Gold.
    Abends wachte er auf, und ich schlug vor, rauszugehen, etwas zu essen, ein bisschen zu entspannen. Er war einverstanden. Wir traten in das Halbdunkel und die Feuchtigkeit der schmalen Sträßchen. Wie immer roch es nach Katzenpisse, Fisch und nach alten Dingen. Der Wind vom Meer drang ins Innere der Stadt nicht vor. Ich wollte ihm alles zeigen. Die Wellen schaukelten, und in den Steinplatten des Kais spiegelten sich gelbe Lichter. Aber er wirkte so zerbrechlich, unsicher, lief irgendwie seitlich. In der Mitte, aber auch

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