Kuss der Wölfin 03 - Die Begegnung
nackten Füße versanken in der Pfütze, und als er in die Hocke ging, traf sein Po das glitschige Nass. Er streckte die Hand aus, berührte Marcus am Arm. Marcus wandte sich flink zu ihm, sein Blick war unstet, schnellte von rechts nach links. Immer wieder zog er den Rotz hoch, rieb sich die Nase, kratzte sich am Arm.
„Marcus. Wir wollen dir helfen“, flüsterte Raffaelus. Er wollte diesen Gefährten nicht töten, wie er es mit vielen Süchtigen zuvor hatte machen müssen, weil sie nicht mehr kontrollierbar gewesen waren. Er war sicher, dass noch Hoffnung bestand. Immerhin saß Marcus in seiner menschlichen Gestalt vor ihm. Aber er konnte nicht zu ihm vordringen. Raffaelus wusste, dass er gefährlich war, denn in diesem Stadium war kaum noch abschätzbar, wie Marcus reagieren würde. Entweder er könnte es schaffen, ihn in seine Gewalt zu bringen und einzusperren oder aber es würde auf einen Kampf hinaus laufen. Da Marcus durch das menschliche Blut gestärkt war, ginge es um einen Kampf auf Leben und Tod.
Es drangen keine verständlichen Worte aus seinem Mund, nur tierische Laute.
„Marcus“, sagte Raffaelus sehr deutlich, „hör endlich auf. Ich muss dich töten, wenn du nicht …“ Marcus‘ rechter Arm schnellte nach vorne wie eine wütende Schlange, packte Raffaelus am Unterarm und zog ihn mit einem Ruck zu sich, sodass dieser das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht voraus den Schlamm fiel. Marcus zerrte ihn mit einer Hand hoch und zu sich heran, strich mit dem Zeigefinger über die schlammige Haut und steckte ihn sich in den Mund. Ein Zucken umspielte seine Lippen. Raffaelus starrte ihn an. Erkenntnis breitete sich in ihm aus.
„Wer hier wohl wen töten wird, mein lieber Raffaelus. Das ist doch hier die Frage, findest du nicht auch?“ Er legte den Kopf schief, die Funken eines unheiligen Feuers tanzten in seinen Augen. Raffaelus versuchte sich aus dem Griff zu befreien aber aufgrund des glitschigen Schlammes konnte Marcus ihn nicht länger greifen. Er erhob sich, wandelte sich halb, um von der Kraft des Wolfes zu schöpfen, wusste allerdings tief in seinem Inneren, dass Marcus zu stark war. Das Blut. Das Böse. Der Hass. Die unermessliche Macht, die ihm verliehen worden war, ließ ihn über sich hinaus wachsen - und gleichzeitig wusste er sehr wohl, was er tat. Er hatte ihn, Raffaelus, reingelegt. Dass Raffaelus davon ausgegangen war, er würde abgleiten, für alle Ewigkeit ein Wolf sein, der wie im Wahn Dörfer überfallen würde, bis man ihn tötete, war ein Irrtum gewesen. Marcus war nicht verloren. Marcus war berechnend. Eine tödliche Waffe, die sich immer und ständig im Griff hatte. Er hatte ihn reingelegt, ihn angelockt. Es war ein gefährliches Spiel, denn Raffaelus hätte ihn auch aus der Ferne töten können. Marcus hatte eine 50:50 Chance gehabt, dass er so reagieren würde, wie von ihm gewünscht.
„Du bist ein Monster“, stammelte Raffaelus, entfernte sich rückwärts von ihm. Er wagte es nicht, sich umzudrehen und Marinas Blick zu suchen. Aus den Augenwinkeln sah er ein Funkeln unter der Oberfläche des Schlamms.
„Ich werde dir mal etwas sagen, Raffaelus. Du hast dein kleines Rudel mit strenger Hand geführt. Leider hast du es nicht geschafft, aus uns mächtige Werwölfe zu machen.“ Marcus machte eine Pause. Mittlerweile war auch er aufgestanden, folgte ihm. Er wirkte ruhig, wie weggeblasen war der Eindruck, Marcus sei schwachsinnig.
„Leider will dein Rudel mehr als ein paar Rehe jagen und fressen. Wir wollen mächtig sein. Wir wollen Menschenfleisch. Wir wollen größer werden.“ Er unterstrich seine Worte, indem er mit den Armen ausholte. Während er noch gestikulierte, sprang Marina in ihrer Halbgestalt auf ihn zu, aber er hatte sie aus den Augenwinkeln bereits gesehen und ließ seine Faust gegen ihr Gesicht krachen, so dass sie jaulend zu Boden ging. Sie fiel in den Schlamm, wollte sich aufrappeln, doch Marcus stellte seinen Fuß auf ihren Rücken und hielt sie damit auf dem Boden.
„Zu dir komme ich gleich. Und dann werde ich mir nehmen, was ich die ganze Zeit nicht von dir bekommen habe.“ Raffaelus durchströmte heiße Wut und Hass. Er sprang auf seinen Gegner zu und zerfetzte mit seiner riesigen Pranke das kindliche Gesicht, das unter all dem Dreck verborgen war. Marcus blieb indes einfach nur stehen, kein Schmerzenslaut drang aus ihm hervor, so als spüre er nichts. Er schüttelte tadelnd den Kopf, umfasste Raffaelus‘ behaarten Hals und
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