Lesereise Sizilien
Ein Geschenk der Götter und der Natur
Das Wunder Sizilien
Man geduldet sich den ganzen Winter hindurch, weil man weiß, dass in einer einzigen kalten und klaren Nacht die Mandelbäume mit weißen, zarten Blüten bedeckt sein werden. Es ist jedes Mal wie ein Wunder, dass dieser hauchdünne Blütenschnee Regen und Winden trotzt. Und doch dauert das Blühen gerade so lange, wie es braucht, um die Früchte vorzubereiten. Und dann ist Frühling auf Sizilien, mitten im Februar. Ein lieblicher Duft weht von den Hängen des Ätna. Der wolkenlose Himmel ist so intensiv blau, dass man meinen könnte, ein Grafiker hätte per Computeranimation nachgeholfen. Die Sonne malt mir die ersten Sommersprossen ins Gesicht. Ein laues Lüftchen weht vom Meer. Der tiefgraue Ätna, der Schicksalsberg der Insel, pafft unter seiner weißen Mütze friedlich vor sich hin. Ich sitze in einem Café in Taormina, halte die Nase in die Sonne und träume. Mit einer doppelten Portion Pistazieneis. Ich bin Journalistin und sensationslüstern – von Berufs wegen. Vielleicht bin ich auch deswegen Journalistin? Jedenfalls hatte ich ein Bild von Sizilien in meinem Kopf, lange bevor ich die Insel zum ersten Mal besucht habe: Flirrende Hitze über kargen, weiten, gelben Landstrichen und üppigen Landgütern, dunkel gekleidete Männer mit Melonen in schwarzen Stretchlimousinen, die im Kofferraum wer weiß was wer weiß wohin transportieren, friedliche Grabsteine, spaghetti mit blutroter Tomatensauce, melancholische, düstere Gesichter, helle Felder, auf denen die Schafe blöken, geheimnisvolle Fremde mit abgesägten Schrotflinten im Geigenkasten. Nichts als Klischees.
Ich muss gestehen, dass ich dann doch ein ganz klein wenig enttäuscht war, als sich mir die Insel so ganz anders präsentierte. Prall der Lebensfreude, vergnügt, sinnlich, offen, ausgelassen. Aber sind es nicht genau diese Klischees, die Sizilien so einzigartig machen? In meinem Bauch jedenfalls meldet sich noch immer so ein kleines, geheimnisvolles Kribbeln, wenn ich auf Sizilien bin – und »Der Pate« gehört weiterhin zu meinem Lieblingsfilmen …
»Finito, Signorina?« Eine dunkle Stimme schreckt mich aus meinen Gedanken. Der glutäugige Kellner will sich über mein Pistazieneis hermachen. Es sieht inzwischen aus wie ein grüner See. »Si, grazie!« Es ist irgendwie seltsam mit den Inseln. Sie scheinen wie bunte Seifenblasen, die vom Meeresgrund hochsteigen, in sich geschlossen. Die in hellen Vollmondnächten einen dunklen Fleck auf das leuchtende Meer zeichnen. Inseln bedeuten Freiheit und Gefangenschaft zugleich, auf Inseln sagt man dem großen Leben arrivederci und lebt das kleine. Das begrenzte, das nach Fisch riecht und salzig schmeckt. Irgendwann ertappt man sich, wie man Möwen nachsieht, das Kräuseln der Wellen beobachtet, den Windhauch, der durch einen Oleanderbusch raschelt. Die Weite der Gedanken passt sich an, die Sehnsucht ist gestillt und hungrig zugleich. Es gibt Tage, an denen sich Gewitterwolken drohend aufbauen, sich die schwarzgrünen Fluten des Meeres zu Gipfeln aus Wasser auftürmen und gegen die Klippen knallen, sich der Himmel bedrohlich auf die Bucht zubewegt. Wenn große, schwere Regentropfen auf den Asphalt klatschen, in den Bergtälern zäher Nebel hängt, dann verflucht man die Insel, will nur noch weg. Und es gibt Tage, an denen der Ginster die Hügel mit gelben Teppichen überzieht, die Macchia blüht, die ganze Insel nach Jasmin duftet. Wenn das Meer verführerisch glucksend mit kleinen Wellen den Strand umspült, die Sonne strahlt, dann liebt man die Insel und will nie wieder weg.
»Altro, Signorina?« Er sieht mich freundlich an. »No, grazie«, sage ich. Oder doch: Ein kleines Häuschen am Meer, um für immer zu bleiben. Und einen Privatjet, um an düsteren Tagen schnell wieder verschwinden zu können. Doch mit diesen Bestellungen wäre der Kellner wohl ein wenig überfordert. Es gibt fünf Jahreszeiten auf Sizilien. Den Sommer, der dem Eiland einheizt, die Menschen im kühlen Schatten an den Wänden ihrer Häuser zusammendrängt. Die große Hitze brütet über verdorrten Feldern, Afrikas Nähe ist zu spüren, in den Nächten scheint die Luft zu stehen. Die zanzare, die Stechmücken, versammeln sich zu Großangriffen auf die Touristenscharen, Fensterläden werden von Mittag bis Spätnachmittag verrammelt. Wasser wird zum kostbaren Gut, aus den meisten Hähnen tropft früher oder später nur noch braune Brühe. Wenn dann ein lindernder Wind wie ein
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