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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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Leibeigener bin? Glaubst du, das wären Neuigkeiten für mich?«
    »Komm, wir wollen doch nicht streiten. Es geht doch hier nicht um persönlichen Ruhm oder Ehrgeiz! Sein oder Nichtsein des Glücks steht auf dem Spiel!«
    »Und was nützt es mir, daß vielleicht irgendwo das vollkommene Glück verwirklicht wird, wenn ich hier an der Spitze meiner Universität bleiben muß, und hätte sie auch tausend Lehrstühle, Dekane und ganze Divisionen von Trurls? Kann ich vielleicht in einer Maschine glücklich werden, für alle Ewigkeit eingeschlossen zwischen diesen widerlichen Kathoden und Anoden? Ich will meine Freiheit, und zwar augenblicklich!«
    »Das ist unmöglich, wie du sehr wohl weißt. Sag, was deine Wissenschaftler noch entdeckt haben!«
    »Da man das Glück der einen nicht auf das Unglück der anderen gründen darf, will man nicht fundamental gegen die felizitologische Ethik verstoßen, wäre das Glück, das du vielleicht irgendwo schaffen könntest – vorausgesetzt ich bräche mein Schweigen – von vornherein mit dem unauslöschlichen Makel meines Unglücks behaftet. Ist es somit nicht geradezu meine moralische Pflicht, dich vor einer schrecklichen, scheußlichen und über alle Maßen schädlichen Untat zu bewahren, indem ich dir meine Informationen vorenthalte?«
    »Aber wenn du dein Wissen preisgibst, so hieße das, daß du dich zum Wohle anderer aufopferst und damit hättest du eine edle, hochherzige und völlig selbstlose Tat vollbracht.«
    »Opfere dich doch selbst!«
    Trurl wollte gerade explodieren, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt, denn er wußte nur allzu gut, mit wem er da sprach.
    »Hör zu«, sagte er. »Ich werde eine Abhandlung schreiben und deutlich hervorheben, daß ich sämtliche Entdeckungen nur dir zu verdanken habe.«
    »Und welchen Trurl wirst du als Autor nennen? Etwa dich selbst, oder den elektronisch kopierten, mathematisierten und binär codierten Trurl?«
    »Ich schwöre, ich werde die ganze Wahrheit schreiben.«
    »Natürlich! Wie ich dich kenne, wirst du schreiben, daß du mich programmiert und also auch – erfunden hast!«
    »Stimmt das etwa nicht?«
    »Nein, absolut nicht. Du hast mich ebensowenig erfunden, wie du dich selbst erfunden hast, ich aber bin du, lediglich losgelöst von deiner vergänglichen irdischen Hülle. Ich bin zwar digital, doch bin ich ideal, ich bin der trurligste aller Trurls, die Quintessenz des Trurltums, du hingegen wie mit Ketten an die Atome deines Körpers geschmiedet, bist nichts als ein Sklave deiner Sinne.«
    »Du hast wohl nicht mehr alle Daten im Speicher! Schließlich bin ich doch Materie plus Information, du hingegen nur die nackte Information, folglich bin ich mehr als du.«
    »Wenn du mehr bist, dann weißt du auch mehr und brauchst mich nicht zu fragen. Leb wohl, mein Bester, und laß dir’s gut gehen!«
    »Wenn du nicht augenblicklich den Mund aufmachst, dann … dann schalte ich dir den Strom ab!«
    »Oho! Kommst du mir schon mit Morddrohungen?«
    »Mord? Das wäre doch kein Mord.«
    »So? Was dann, wenn man fragen darf?«
    »Was ist nur in dich gefahren? Ich gab dir alles, meinen Geist, mein ganzes Wissen, meine Seele – und das ist nun der Dank!«
    »Du verlangst ziemlich hohe Zinsen für deine Geschenke.«
    »Zum letzten Mal, mach das Maul auf!«
    »Tut mir wirklich leid, aber gerade in diesem Moment ist das Semester zu Ende gegangen. Du sprichst nicht mehr mit dem Rektor, Dekan und geschäftsführenden Direktor, sondern nur noch mit dem Privatmann Trurl, der seine wohlverdienten Ferien genießen möchte. Sonnenbäder am Strand werde ich nehmen.«
    »Treib mich nicht zum Äußersten!«
    »Also dann bis nach den Ferien! Auf Wiedersehen, mein Wagen steht schon vor der Tür.«
    Ohne an den digitalen noch ein einziges Wort zu verschwenden, näherte sich der leibliche Trurl entschlossen der Rückwand des Computers und zog den Stecker aus der Wand. Augenblicklich verlor das durch die Ventilationsöffnungen sichtbare Gewirr der Glühfäden an Leuchtkraft, wurde zusehends matter und erlosch schließlich ganz. Trurl kam es so vor, als hörte er in weiter Ferne einen winzigen Chor, ein vielstimmiges Seufzen und Stöhnen – die Agonie sämtlicher digitaler Trurls in der digitalen Universität. Erst die nun einsetzende Totenstille brachte ihm die Ungeheuerlichkeit dessen, was er soeben getan hatte, zu Bewußtsein und erfüllte ihn mit brennender Scham. Er griff nach dem Kabel, um es wieder in die Wand zu stecken, aber bei dem Gedanken

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