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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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ein bekannter Poet der älteren Generation, der es zu zwei Staatspreisen und einem Denkmal im städtischen Park gebracht hatte, in eine tiefe Ohnmacht fiel. Danach konnte kein Dichter dem fatalen Zwang widerstehen, mit Trurls Elektrobarden die literarische Klinge zu kreuzen. Sie kamen von nah und fern und schleppten Aktentaschen, ja ganze Koffer voller Manuskripte mit sich. Der Elektrobarde ließ jeden Herausforderer rezitieren, erfaßte im Nu den Algorithmus seines Gedichts und benutzte ihn, um eine Antwort in genau demselben Stil zu verfassen, nur daß sie zweihundertzwanzig bis dreihundertsiebenundvierzig mal besser war.
    Nach kurzer Zeit hatte es die Maschine hierin zu einer solchen Fertigkeit gebracht, daß sie einen erstklassigen und hochangesehenen Dichter mit ein oder zwei Sonetten völlig am Boden zerstörte. Doch das Allerschlimmste war, daß bei diesen Duellen um die Palme der Dichtkunst nur die drittklassigen Poeten keinerlei Narben davontrugen – drittklassig, wie sie waren, konnten sie gute Lyrik nicht von schlechter unterscheiden und hatten daher keine blasse Ahnung, wie vernichtend ihre Niederlagen waren. Nur einer von ihnen brach sich ein Bein, als er nämlich über ein episches Gedicht stolperte, das die Maschine gerade beendet hatte – ein gewaltiges Werk, welches mit folgenden Worten begann:
     
    Ihr Kinder, junge Sprossen aus dem alten Stamm
    Der Robos, was klagt ihr wie ein Opferlamm,
    Weshalb erschallt Wehklagelaut und Bittgesang?
     
    Die wahren Dichter hingegen wurden vom Elektrobarden dezimiert, wenngleich nur auf indirekte Weise, denn selbstverständlich krümmte er ihnen kein Haar. Zunächst begingen ein in Ehren ergrauter Lyriker sowie zwei Avantgardisten Selbstmord; sie sprangen von einer Felsklippe, die durch eine fatale Verkettung der Umstände genau an der Straße lag, welche von Trurls Behausung zur nächsten Bahnstation führte.
    Die Dichter beriefen sogleich mehrere Protestversammlungen ein und verlangten, man möge die Maschine versiegeln und ihr von Amts wegen jede schöpferische Tätigkeit untersagen. Doch mit dieser Forderung fanden sie keinerlei Resonanz in der Öffentlichkeit. Die Zeitungsredaktionen waren äußerst zufrieden, denn Trurls Elektrobarde, der unter einigen tausend Pseudonymen zugleich schrieb, hielt für jede Gelegenheit ein Gedicht parat, selbstverständlich in der passenden Länge und von so hoher Qualität, daß eifrige Leser einander die druckfeuchten Zeitungen aus der Hand rissen. Auf der Straße sah man verzückte Gesichter und geistesabwesende Mienen, bisweilen waren auch leise Seufzer zu hören. Jedermann kannte die Gedichte des Elektrobarden, die Luft erzitterte unter seinen herrlichen Reimen; empfindsamere Naturen fielen nicht selten in Ohnmacht, wenn sie von besonders gelungenen Metaphern oder Assonanzen ins Herz getroffen wurden. Doch auch auf diese Eventualitäten war der Gigant der Inspiration vorbereitet, denn er produzierte auf der Stelle die notwendige Anzahl aufmunternder Sonette.
    Trurl selbst hatte im Zusammenhang mit seiner Erfindung eine Menge Ärger. Die Traditionalisten, zumeist ältere Leute, waren recht harmlos, wenn man einmal von den regelmäßig die Fensterscheiben durchschlagenden Steinen sowie von gewissen, unaussprechlichen Substanzen absieht, mit denen sie die Wände seines Hauses zu beschmieren pflegten. Schlimmer war es mit den jüngeren Dichtern. Einer von ihnen, dessen Lyrik sich durch ebensolche Kraft auszeichnete wie sein Körper, ließ es sich nicht nehmen, Trurl jämmerlich zu verprügeln. Und während der Konstrukteur noch im Krankenhaus lag, nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Kein Tag verging ohne einen Selbstmord oder eine Beerdigung. Vor den Toren des Krankenhauses patrouillierten bewaffnete Posten, und in der Ferne war Gewehrfeuer zu hören, anstelle von Manuskripten brachten die Dichter mehr und mehr Gewehre in ihren Koffern mit, um dem Elektrobarden den Garaus zu machen. Doch ihre Kugeln konnten seiner stählernen Natur nichts anhaben. Nach Rückkehr aus dem Krankenhaus – körperlich geschwächt und seelisch am Ende seiner Kraft – beschloß Trurl eines Nachts, den von ihm selbst geschaffenen homöostatischen Homer mit eigener Hand zu zerstören.
    Doch als er sich immer noch leicht hinkend der Maschine näherte, da bemerkte sie die Drahtzange in seiner Hand sowie den grimmigen Glanz in seinen Augen und flehte in makellosen Versen so leidenschaftlich um Gnade, daß der Konstrukteur in Tränen ausbrach, das

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