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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Rauchspiralen,
    was – wie man uns später sagte – die beiden davontaumelnden Feststoffbooster waren.
    »Verfluchte Scheiße«, sagte einer von den Stammgästen, »das war doch grade die … wie heißt’s doch gleich? – zweite Stufe oder so – die gezündet hat.«
    »Zweite Stufe! So ein Arsch!« sagte Charlie. »Das Ding ist auf dem Weg zur Hölle.«
    Nun er hatte recht
    und gleich darauf sagte es der Fernseher auch,
    sagten es bis zum Kotzen Nachrichtensprecher mit Leidensmiene, Politiker mit einstudiertem Gram, und dann Berichte erster Reaktionen, und zigmal das Instant Replay.
    »Verdammt noch mal«, sagte Charlie, »wer hätte so was gedacht!«
    Es ist eine nationale Tragödie, hieß es im Fernseher,
    aber in der Westernbrook Bar war es die Lösung des Nachmittagsproblems,
    der Grund zu bleiben, eine Rechtfertigung, dort unsere Zeit hinzubringen,
    und zu jedem, der reinkam, sagte Charlie oder die Frau hinter der Theke oder sonstwer:
    »He! Schon gehört von dem Shuttle? Ist explodiert, das Hurending!«
    »Was?« sagten die. »Was für’n Shuttle?«
    Instant Replay Nummer dreiundfünfzigmillionenundsechs machte es deutlich,
    und sie sagten: »Ach, du heilige Scheiße! Guck dir das an!«
    Oder: »Jesus! Ob die wohl noch was davon gespürt haben?«
    Oder so was ähnliches.
    Und ein paar von den besondern Schlaumeiern riskierten noch:
    »Ist das nicht eine Scheiße mit der Lehrerin?«
     
    Später, gegen Abend, war schon dunkel draußen, versuchte ich mir vorzustellen, was sie wohl noch gedacht haben mochten.
    Wie war das: Eben noch der Donner und das Vibrieren – und in der Sekunde drauf Feuer und absolute Schmerzlosigkeit?
    Die sieben wurden zur magischen Zahl, zur Ewigen Sieben.
    Aber es war unmöglich, das Ergebnis unter poetischen Aspekten zu betrachten.
    Alle Poesie, all dieses Herzeleid,
    echte Betroffenheit war längst verschüttet von medialer Weihe,
    vom Overkill politischen Gelabers.
    »Wie ist Ihre Reaktion auf die Tragödie an Bord des Space Shuttle?«
    fragt ein Mini-Cam-Reporter eine aufgeregte Hausfrau in New Jersey,
    plump und grau wie eine Taube in ihrem abgetragenen Wintermantel.
    »Well«, sagt sie, fährt sich durchs Haar und verzieht das Gesicht zu einem Ausdruck nationaler Trauer,
    »ich denke, es ist schrecklich … eine wahre Tragödie.«
    Damit war das Thema in der Westernbrook Bar erledigt, die Frau hinter der Theke schaut ins Programmheft und entdeckt, daß auf Kanal 9 ein Mae-West-Film läuft.
    »Lebt Mae West eigentlich noch?« fragt sie Charlie, und Charlie sagte: »Quatsch, nein.«
    Und ein ganz Schlauer am Ende der Bar sagt:
    »Mann, du hast recht.
    Und Charlie hat sie noch geküßt, bevor sie abkratzte.«
    »Ihren Arsch«, sagte Charlie. »Denkste, ich war in Kalifornien und bin da rumgehopst und so’n Scheiß?«
    Als ob Kalifornien für einen Nicht-Müsli-Esser wie ihn nicht der rechte Ort wäre.
    Er reagierte beleidigt, doch irgendwie gefiel’s ihm doch,
    und der Schlauberger sagte: »He, Charlie? Ich wollte dir doch nur ’n Kompliment machen!«
     
    Als dann Reagan kam, war’n wir alle schon voll.
    Richtig voll! Ich konnte mich kaum noch aufm Hocker halten.
    Vielleicht kam deshalb seine Rede so gut an,
    das Geseire von Opferbereitschaft und Sir Francis Drake
    (der, historisch gesehen, ja nicht so ganz der noble Sucher war)
    klang so bedeutungsschwer und aus tiefstem Herzen kommend.
    Oder wir waren alle schon so gelangweilt von der Katastrophe, so weitab von aller wirklichen Reaktion,
    daß wir des Präsidenten jambischer Beredsamkeit bedurften, seiner edlen Leidenskonfektion,
    um einen Moment lang echtes Gefühl zu empfinden.
    »Ja«, sagte Charlie. »Er hat recht! Der Mann ist okay … Ich meine, wenn der sich ’n paar Jungs holen würde, die ihm sagen, was los ist auf der Straße, dann wär’ der für den Job nicht schlecht.«
    »Hast du die ›Cattle Queen of Montana‹ gesehen?« fragte ich.
    »Was, zum Teufel, is’n das?« sagte er ’n bißchen sauer, weil er nicht gern dasteht und was nicht weiß.
    »Das war seine verdammt größte Stunde«, sagte ich ihm. »Ich schwör’s dir bei Gott, das mußt du dir ansehen!«
    »Is’n Film, was? Is’ er gut?«
    »Und wie! Er ist ungeheuerlich! Da kannst du seine Größe fürchten lernen.«
    Charlie guckte mich verwirrt an, dann gab er vor, zu verstehen, und lachte.
     
    Instant Replay zum fünfhundertneunundsiebzigmilliardstenundvierunddreißigsten Mal.
    »Eijehh«, sagte Charlie, der Seele voll Mitleid, schwankend,

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