Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
seiner schlaffen Gesichtshaut ab.
»Entschuldigung, Ma’am?«
»Er ist nicht mein Sohn. Ich passe nur auf ihn auf.«
»Wie lautet der Name des Jungen, Ma’am?«
Ich öffne den Mund, um zu antworten, aber es kommt nichts heraus.
Fuck.
Ich kann mich nicht erinnern.
»Wo sind Sie gewesen, während Sie ihn allein in der Buchhandlung zurückgelassen haben, Ma’am?«, fragt Gelbauge noch einmal.
»Hab ich doch schon gesagt. Ich musste auf die Toilette. Ich dachte, er kommt allein klar.«
Ich linse zur Wanduhr. Viertel nach neun. Zinzi wollte gegen halb elf zurück sein. Sie wird durchdrehen, wenn sie nach Hause kommt und feststellt, dass der Junge und ihr Wagen verschwunden sind. Und sie wird ganz sicher gefeuert, wenn die Eltern herausfinden, dass sie jemandem wie mir ihren Sohn zum Babysitten anvertraut hat. Andererseits können die Eltern auch nicht allzu pingelig sein, wenn sie Zinzi eingestellt haben – sie ist nicht gerade die Super Nanny.
Schweiß läuft mir über den Rücken. Meine eigenen nervösen Geruchsausdünstungen vermischen sich mit dem abgestandenen Aroma des fensterlosen Wachdienstbüros, das nach alten Zigaretten, dreckigem Teppich und Pizzabelag stinkt.
Neben mir sichtet der Mann, den ich Fingerling getauft habe, das Material der Überwachungskameras. Er ist der Einzige hier, der beim Anblick meines Gesichts nicht zusammengezuckt ist. Wahrscheinlich, weil er selbst ein Krüppel ist: An der rechten Hand hat er zwei glänzende Stümpfe – dort, wo früher Zeige- und Mittelfinger gewesen sind.
»Fassen wir noch einmal zusammen«, meldet sich Gelbauge, der die Situation eindeutig genießt. »Sie sagen, eine Freundin hat Sie gebeten, auf den Jungen aufzupassen, weil sie ausgehen wollte?«
»Wie oft denn noch? Sie ist nicht meine Freundin, sondern meine Cousine.«
»Ist sie auch Britin?«
»Nein.«
»Und aus welchem Grund sind Sie in Südafrika, Ma’am?«
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Wir sichten nur die Fakten, Ma’am.«
»Ach ja? Na, wenn das so ist ... ich dachte, ich komme mal rüber, gehe ein bisschen auf Großwildjagd, Sie wissen schon, der übliche Mist, den man in Afrika so macht. Hören Sie, was sollen diese ganzen Fragen? Können Sie nicht einfach losgehen und den Jungen suchen?«
Mein Handy piept und vibriert in meiner Tasche. Ich hole es heraus und finde eine Nachricht von Zinzi auf dem Display:
hi leute. bin halb 12 zurück. alles klar?
Ich atme erleichtert auf. Das gibt mir eine zusätzliche Stunde Luft.
»Halten Sie es für eine gute Idee, ein Kind in einem Einkaufszentrum ohne Aufsicht zu lassen, Ma’am?«, fragt Gelbauge.
»Lassen Sie mich raten«, kontere ich. »Sie sind bei der Polizei rausgeflogen, stimmt’s?«
Er läuft rot an. Ich wende mich an Fingerling.
»Bitte, Sie müssen ihn finden«, flehe ich ihn an. »Bitte!«
Im Moment würde ich alles tun. Betteln, jammern, heulen. Ich bin bereit, mich auf jeden Deal einzulassen.
Etwas Hässliches windet sich in meinem Magen. Es verrät mir, dass ich ziemlich tief in der Scheiße stecke.
Ich weiß, ich hätte ihn nicht allein lassen sollen. Aber ich dachte, es dauert maximal fünf Minuten. Als ich zum Buchladen zurücklief, war ich noch ganz entspannt, höchstens ein bisschen besorgt, wie ich den Kleinen dazu bringen würde, nichts von unserem spontanen Ausflug zur Highgate Mall zu verraten. Ich quetschte mich an der mageren Tussi vorbei, die gerade das Regal mit den Neuerscheinungen auffüllte, rüber zu den Kinderbüchern, wo ich ihn – völlig vertieft in ein Bilderbuch von Wo ist Walter? – zurückgelassen hatte. Ich befingerte die Autoschlüssel in meiner Hosentasche, befand mich innerlich schon zu Hause, um das kostbare kleine Päckchen zu öffnen, das ich gerade gekauft hatte.
Aber der Teppichboden der Kinderbuchabteilung war bis auf einen Haufen rosafarbener und grüner Sitzkissen leer. Ich hetzte durch die Gänge, vorbei an Kochbüchern, Selbsthilfe-Ratgebern und Abhandlungen über Weltreligionen. Ich beschleunigte meinen Schritt und passierte die grellbunten Reihen mit Science-Fiction und Fantasy und die Ablagen mit Hochglanzzeitschriften, deren Titel vor meinen Augen verschwammen. Als ich Afrikanische Literatur erreichte, joggte ich regelrecht, mein Puls beschleunigte sich, die ersten Anzeichen von Panik machten sich breit.
Die Blonde hinter dem Ladentisch blätterte gelangweilt in einem Heat- Klatschmagazin. Vor jedem Umblättern leckte sie an ihrem Finger.
»Hi«, sagte ich mit
Weitere Kostenlose Bücher