Lackschaden
Frauenbrunch! Schöne Gelegenheit, uns gegenseitig was vorzulügen: Über unsere wunderbaren Kinder, unser herrliches Leben und unsere phantastischen Ehemänner.
Anita hat eingeladen. Das Gute ist, Anita ist immer eins a informiert und kennt den neusten Klatsch und Tratsch. Anita ist so was wie die personifizierte Vorstadtbunte. Schon deshalb freue ich mich auf unser kleines Frühstück.
Bevor ich gehe, kommt Rudi auf mich zu, immer noch im Bademantel.
»Wesche der Trauerred, Andrea, isch hab hier schon emal was notiert, was dir helfe könnt!«
Er drückt mir einen kleinen Zettel in die Hand. Der arme Rudi. Seit Inge tot ist, ist er fast nicht mehr aus dem Bademantel herausgekommen und schon das tägliche Aufstehen bereitet ihm Mühe. Er tut mir einerseits unendlich leid, aber andererseits ist er auch wie ein weiteres Kind im Haus und nervt mich so doch schon ein wenig. Ich reiße mich zusammen, nehme den Zettel, sage ihm, dass ich für die nächsten zwei Stunden nicht da sein werde.
»Lass mich ruhisch allein, des bin ich tief drinne sowieso«, antwortet er nur.
Jetzt tatsächlich das Haus zu verlassen, ist ziemlich herzlos, aber es heitert ihn auch nicht wirklich auf, wenn ich mich zu ihm setze. Ich nehme ihn in den Arm, tröste ihn und mich selbst mit den Worten: »Ich bin nicht lange weg! Nur nebenan bei Anita. Wenn was ist, kannst du mich jederzeit erreichen!« Man verlässt nicht gerne das Haus und lässt ein Häufchen Elend darin zurück.
Meine Schwiegermutter ist vor acht Wochen plötzlich verstorben, aber Rudi kann es bis heute nicht fassen. Wie auch? Die beiden waren eine Ewigkeit verheiratet und Rudi fühlt sich wie amputiert. Inge ist auf dem Weg in die Stadt an einer Straßenbahnhaltestelle umgefallen und war tot. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Manche finden, das sei der perfekte Tod. Ich weiß nicht so recht. Für die, die zurückbleiben, ist er alles andere als perfekt. Wenn jemand schwer krank ist, bleibt Zeit sich vorzubereiten. Sich zu verabschieden. Die Trauer mag genauso groß sein, verteilt sich aber auf einen längeren Zeitraum.
Ich bin selbst auch sehr traurig über Inges Tod. Ich habe sie wirklich geliebt. Inge war das, was man einen guten Menschen nennt. Das klingt vielleicht ein wenig pathetisch, aber entspricht der Wahrheit. Inge war eine liebenswerte und freundliche Frau. Nie zynisch, gehässig oder boshaft. Seit Rudi bei uns wohnt, traue ich mich kaum mehr zu trauern. Schon, weil ich das Gefühl habe, dass es mir nicht wirklich zusteht. Immerhin hat Rudi seine Frau verloren, mein Mann seine Mutter – ich ja bloß die Schwiegermutter. Trotzdem könnte ich, schon während ich darüber nachdenke, weinen.
Christoph, meinen Mann, habe ich, seit dem Tod seiner Mama, noch kein Mal weinen sehen. Warum nicht? Hat er das Gefühl, stark sein zu müssen, weil er sieht, wie gebrochen sein Vater ist? Anders kann ich mir sein Verhalten kaum erklären. Natürlich habe ich ihn dazu befragt. Er hat irgend so was Ähnliches wie »Manche heulen eher nach innen« dazu gesagt. Seit seine Mutter tot ist, geht er noch häufiger zum Golfen als vorher. Mit anderen Worten, er ist kaum mehr zu Hause. »Das zieht mich alles so runter!«, hat er mal gesagt, als ich ihm deswegen ein paar winzig kleine Vorwürfe gemacht habe. Der Satz hat mir gerade noch gefehlt: »Das zieht mich alles so runter!« Unverschämt. Was denkt der denn, wie mich das alles so runter zieht. Glaubt der vielleicht, ich wäre heiß auf das Pubertätsgemuffel, seinen verzweifelten Vater und den gesamten, auch nicht gerade erheiternden, Rest?
»Und was ist mit mir?«, habe ich ihn gefragt.
»Du kannst ja mitkommen zum Golfen!«, hat er lapidar geantwortet, wohl wissend, dass ich überhaupt kein Golf spiele und auch nicht zu dem Typ Frau gehöre, der stundenlang nebenher läuft und Schläge bewundert. Soweit kommt es noch! Außerdem finde ich, dass es kaum etwas Langweiligeres als Golf gibt. Wenn ich mit alten Leuten spazieren gehen will, findet sich mit Sicherheit auch eine andere Möglichkeit. Davon abgesehen, darf man nicht mal einfach so Golf spielen, man muss dafür eine Art Führerschein machen. Etikette büffeln, Regeln lernen und das Ganze nennt sich dann hochtrabend Platzreife. Christoph war stolz wie ein Erstklässler über einen Smiley im Hausaufgabenheft, als er seine Platzreife bestanden hat. »Null Fehler in der Theorie!«, hat er überall ungefragt rumerzählt. Seitdem dreht sich alles um sein Handicap. Detailliert bekommen
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