Lackschaden
wir bei den wenigen Mahlzeiten, die wir gemeinsam verbringen, jeden einzelnen Schlag auf seinen Runden geschildert.
»Als ich an der sieben diesen Wahnsinnsabschlag hatte, war ich mit dem zweiten fast schon am Grün, mit dem dritten habe ich den Ball draufgechippt, richtig nah an die Fahne, besser ging’s gar nicht und dann habe ich leider drei Putts gebraucht, sonst hätte ich Par gespielt. Also, das wäre der Hammer gewesen.«
Diese Erzählungen sind an Langeweile kaum zu übertreffen. Wir haben alle schon versucht, ihm das klarzumachen. Solche Geschichten interessieren, wenn überhaupt – und auch das ist kaum vorstellbar – andere Golfer. Aber bei jemandem, der diesen »Sport« nicht betreibt, ist das bestimmt die sicherste Möglichkeit, ihn ins Koma zu reden.
Neben den ausschweifenden Erzählungen hat Golf noch weitere Nachteile. Der Golfplatz liegt etwa 35 Minuten Fahrtzeit von unserem Zuhause entfernt. Eine Runde Golf dauert – je nachdem, mit wem man spielt und wie voll es ist – ungefähr vier Stunden. Ich sage nur: Auf Wiedersehen Wochenende! Zu all den Nachteilen kommen noch die Kosten. Golf ist nicht gerade das, was man ein Schnäppchen nennt. Da war mir Christophs exzessives Joggen um Klassen lieber, aber leider wird mir kein Mitsprachrecht bei der Wahl seines Sportprogramms gewährt.
Es klingelt. Anne steht vor der Tür. Sie wohnt erst seit einigen Monaten hier in der Gegend und ist heute auch bei Anita eingeladen.
»Hallo, Andrea, ich wollte dich gerade schnell abholen!«, strahlt sie mich an. Anne strahlt immer. Gerade so, als hätte man ihr was ins Trinkwasser gemischt oder als hätte sie in der Sekunde erfahren, dass sie den Lotto-Jackpot geknackt hat. So viel gute Laune macht mich immer ein wenig skeptisch. Ich kann mir einfach kaum vorstellen, dass ihr Leben so unglaublich erheiternd sein kann. Ich kenne Anne nicht wirklich gut, habe aber ihren Mann schon mal getroffen. Der kann wohl kaum der Grund für dieses permanente Grinsen sein. Ich weiß natürlich, dass man nicht vorschnell urteilen soll. Und nur weil jemand muffig aussieht, muss er das noch lange nicht sein. Aber dass dieser Kerl der Grund für diese grandiose Stimmung sein soll, erscheint mir doch unvorstellbar.
»Ich bin fertig, wir können sofort los. Ich muss nur gerade noch meinem Schwiegervater Tschüss sagen!«, begrüße ich Miss Sonnenschein.
»Rudi, mach’s gut. Ich bin nebenan bei Anita! Wenn was ist, komm einfach vorbei«, rufe ich ins Haus und ziehe die Tür hinter mir zu. Irgendwie schließt die nicht richtig, aber was soll’s. Hauptsache mal endlich raus hier.
»Wer kommt denn noch?«, will Anne auf den fünf Metern bis zu Anita wissen. Ich habe keine Ahnung und gehöre auch nicht zu den Leuten, die vorher genau nachfragen. Ich habe keine Befindlichkeiten. Ich mag natürlich manche lieber als andere, bin aber mit keiner der eingeladenen Frauen so zerstritten, dass ich nicht kommen würde.
Wir sind zu acht und Anita hat mal wieder ordentlich aufgefahren. Gekocht, gebraten und angerichtet als gelte es, einem Catering-Unternehmen Konkurrenz zu machen. Fingerfood, klassisches Frühstück mit Brötchen, jeder Art von Ei und dazu ein bombastisches Süßspeisenbüfett. Selbstverständlich frisch gepresster O-Saft und frisch aufgebrühter Kaffee – wahlweise Latte macchiato, Cappuccino mit oder ohne Koffein und Grüner Tee.
Diese Mengen an Lebensmitteln machen mir sofort Druck. So etwas setzt einfach Maßstäbe. Wer hier bestehen will, muss vor seiner Einladung tagelang werkeln. Schon deshalb kann ich mich an diesen Ladungen Lebensmitteln nicht nur erfreuen. Keiner von uns ist so abgemagert, dass er diese Berge bräuchte. Hier geht es mal wieder nur darum, aufzutrumpfen, den anderen zu zeigen, wie man eben mal, einfach so nebenbei Wagenladungen von herrlichen, kleinen Leckereien zaubert. Und natürlich gibt es direkt die entsprechenden Kommentare. Grinse-Anne kriegt sich gar nicht mehr ein.
»Oh, Anita, das ist ja großartig. Wie du das immer nur machst! Waaaahnsinn!«
Ein einfaches Danke von Anita als Reaktion auf die Lobeshymne wäre ausreichend, aber natürlich geht es jetzt los mit dem Tiefstapeln, um gleich darauf noch mehr Komplimente zu bekommen.
»Das war doch gar nichts, habe ich schnell heute Morgen gemacht!«, lautet deshalb die Antwort von Anita. Wann bitte schön fängt bei Anita der Morgen an? Nachts um eins? Eine Welle von Ahs und Ohs schwappt durch den Raum. Wir stehen andächtig vor
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