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Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)

Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)

Titel: Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Landschaft von Kalkfelsen, die das Wasser ausgehöhlt und sonderbare Formen und Grotten hinterlassen hatte. Nur vom Wind zerzaustes niedriges Buschwerk konnte hier Wurzeln schlagen. Oberhalb eines Baches, der von der Kurdurquelle gespeist wurde, führte ein schmaler Pfad zu Anamarnas Höhle.
    Jaryn sah ihn schon von Weitem auf einer Bank vor seiner Hütte sitzen und eine Pfeife rauchen. Wie Großvater!, schoss es ihm durch den Kopf. Die langen weißen Haare, der kurze, rundgeschnittene Bart, der silbergraue Leinenrock – er war es! Ein seltsamer Druck legte sich auf seine Brust. Aber als er nähertrat, sah er, dass es nur ein alter Mann war, der ihm ähnelte.
    Der Eremit, den alle Welt als den Weisesten unter den Weisen pries, sah also aus wie sein Großvater. Jaryn näherte sich ihm mit zwiespältigen Gefühlen. Sein Gewand war beschmutzt und zerrissen, sein Haar verschwitzt, der Zopf halb aufgelöst. Gut so, dachte er trotzig, soll der Weise doch sehen, was für einen Gewaltmarsch er einem Sonnenpriester zugemutet hat!
    Leider schien dieser die Spuren seiner Strapazen überhaupt nicht wahrzunehmen. Er nickte ihm freundlich zu, als habe er ihn nur kurz zum Milchholen geschickt, und wies auf die Bank neben sich. »Jaryn. Schön, dass du da bist. Da, setz dich her zu mir. Ich lasse meine alten Knochen gerade von der Sonne wärmen, das tut gut.«
    Jaryn konnte seinen mehrfach geübten Kniefall nebst Handkuss und salbungsvollen Worten getrost vergessen. Die unterschiedlichsten Empfindungen durchströmten ihn, als er sich neben dem großen Anamarna niederließ. Er sah nicht nur aus wie sein Großvater, er redete auch so. Es befremdete ihn, weil er nicht wusste, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. War der Name dieses Mannes nicht in ganz Jawendor berühmt? Wurde er nicht von allen verehrt, selbst vom Oberpriester Sagischvar und König Doron? Wie heilig und unantastbar musste er sein! Weshalb saß er dann hier in einem bäurischen Kittel aus Leinen, rauchte in aller Öffentlichkeit eine Pfeife und sprach ganz freimütig von seinen alten Knochen wie ein Bauer? Hatte er denn gar keine Würde?
    Jaryn versuchte, seinen befleckten Ärmel zu verbergen, und klemmte die Stelle mit dem Riss unter seine Schenkel. Wie unpassend die rote Seide neben dem grauen Stoff des Eremiten aufleuchtete! Jaryn war sich dessen zwar bewusst, aber unfähig, diesen Unterschied im klaren Licht echter Erkenntnis zu sehen. Während er sich noch mit dieser Auffälligkeit beschäftigte, bemerkte er zu seinem Schrecken, dass er noch kein Wort zur Begrüßung gesagt hatte. Wie unhöflich! Was musste der Meister von ihm halten? Dass er keine Manieren hatte? Er räusperte sich. »Meister – Herr – wie darf ich Euch …«
    »Ich bin Anamarna. So nannte mich meine Mutter, als ich das Licht der Welt erblickte. Kein schlechter Name. Meine Mutter hatte ein Gespür für passende Namen.« Er zwinkerte Jaryn zu. »Also weißt du, wie du mich anreden sollst.«
    Jaryn errötete, was ihm, soweit er sich erinnern konnte, zum letzten Mal als Knabe passiert war. »Anamarna« sollte er zu ihm sagen, als sei dieser ein Tempelsklave. Nicht »Erhabener«, nicht »Erleuchteter«, nur Anamarna. Er nickte. Und er verfluchte sich für seine Unsicherheit. Sie war seinem Wesen fremd. Jaryn hätte sich viel wohler gefühlt, wenn er ihm die Füße hätte küssen dürfen, denn das hätte er verstanden. Das kam einem wie Anamarna zu. Was also war das Geheimnis des Alten?
    Dieser wandte den Kopf und sah ihn an. »Du bist ein hübscher Bursche geworden, Jaryn. Eigentlich ganz unbegreiflich …« Er zögerte, und Jaryn überlief es heiß. Er hatte vergessen, die Kapuze überzustreifen und den Kopf zu senken, damit der andere – Aber Anamarna wirkte nicht verstört, nur nachdenklich.
    »Was ist unbegreiflich?«, wagte Jaryn zu fragen.
    »Was sich die Götter in ihrer Kurzweil ausdenken«, erwiderte Anamarna ernst. »Aber deswegen habe ich dich nicht kommen lassen.« Er klatschte in die Hände, und ein halbwüchsiger Junge trat aus der Hütte. Er verneigte sich vor Anamarna und Jaryn.
    »Aven, unser Gast ist gekommen. Bring uns ein paar Erfrischungen. Wir werden sie hier zu uns nehmen, das Wetter erlaubt es.«
    Der Junge verneigte sich abermals und verschwand in der Hütte, doch Jaryn hatte den verstohlenen Blick bemerkt, den dieser ihm zugeworfen hatte. Nachdem er sich genug über das Verhalten des Eremiten gewundert hatte, war er plötzlich ungeduldig zu erfahren, was

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