Lacunars Fluch, Teil 1: Der Auftrag (German Edition)
die ihm helfen würden, falls etwas zur Neige ging, und er wollte nicht allzu schwer an der Last tragen. Innerhalb der Stadt hätte ihm eine Sänfte zugestanden, doch das war in diesem Fall ausgeschlossen. Niemand hätte es gewagt, vor dem Eremiten so unbescheiden aufzutreten. Auch Reiten war wegen der engen Berührung mit einem Tier und dessen strengem Geruch verboten.
Leicht würde der Weg nicht werden, aber wer von Anamarna gerufen worden war, der musste stark sein. Er vergaß auch nicht die kleine Sonnenscheibe, mit der er den Gott einlud, ihn zu besuchen. Zuletzt legte er sich eine goldene Kette mit dem feurigen Auge des Lichtgottes, einem riesigen Rubin, um den Hals. Dann war er reisefertig.
Seine Mitbrüder waren überrascht, ja bestürzt, als er ihnen mitteilte, dass er sich ganz allein auf eine kleine Reise zur Quelle von Kurdur begeben werde. Nach eifrigem Austausch von Vermutungen und Befürchtungen standen alle in der großen Halle und nahmen Abschied von ihm, als hätte er die Absicht, ein Jahr fortzubleiben. Sie beneideten ihn, denn er durfte etwas von der Welt sehen, wozu ein Sonnenpriester nur selten Gelegenheit bekam. Es vertrug sich nicht mit seiner Würde, in der Gegend herumzuspazieren oder Ausflüge zu machen. Aber die Einladung des allseits hochverehrten Eremiten verpflichtete Jaryn dazu. Selbst Sagischvar gab ihm die Ehre und ließ es sich nicht nehmen, ihm etliche Ermahnungen mit auf den Weg zu geben.
Jaryn war froh, als er seinen besorgten Mitbrüdern samt ihren guten Ratschlägen entkommen war und die breite Allee hinunter schritt, die geradewegs zum Haupttor führte. Er war zum ersten Mal allein in der Stadt unterwegs, und das verschaffte ihm ein berauschendes Machtgefühl. Rechts und links wichen ihm die Menschen aus. Das scheinbar unentwirrbare Knäuel aus Sänften, Karren, Reitern und Fußgängern öffnete sich wie ein Vorhang. Er schien förmlich hindurchzuschweben. Prunkvolle Sänften, stolze Reiter, viele mit dem königlichen Wappen geschmückt, machten ihm ehrfurchtsvoll Platz. Einige knieten an den Hauswänden nieder und reckten ihm ihre Arme entgegen, damit ein Abglanz seiner Heiligkeit auf sie falle.
Jaryn lächelte nicht und beachtete sie nicht, das erwartete man von ihm. Erhaben über das Gewimmel um ihn herum ging er seinen Weg, das Gesicht wie in Stein gemeißelt, schön wie die Götterbilder, die vor den Tempeln standen, gänzlich in sich selbst ruhend. So gelangte er zum Tor, verließ die Stadt und schlug den Weg nach Westen ein, wo sich weit hinten am Horizont die Rabenhügel als eine dunkle, gezackte Linie abzeichneten. Bald geriet er auf einen schmalen Feldweg, auf dem ihm nur noch selten Menschen begegneten, die sich bei seinem Anblick furchtsam in die Büsche drückten. Einfache Bauern und Handwerker, die noch nie einen Sonnenpriester leibhaftig gesehen hatten.
Nach einem längeren Fußmarsch verspürte er das Bedürfnis nach einer Rast. Weit und breit war niemand zu sehen, aber er wagte es nicht, sich auf jenen Feldstein am Weg zu setzen, der zur Rast einlud. Was hätte ein zufällig vorbeikommender Wanderer wohl von einem Sonnenpriester gehalten, der hier wie ein gewöhnlicher Bauer sein Vesperbrot verzehrte?
Jaryn drang tiefer in den Wald ein, suchte sich eine geeignete Stelle und breitete die Decke unter einer großen Fichte aus. Obwohl er seine Schritte sorgfältig bemessen hatte, war der Saum seines Gewandes vom Straßenstaub beschmutzt. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Ich hätte eben doch mehr Roben einpacken sollen, ging es ihm durch den Kopf, während er seinen dürftigen Rastplatz in Augenschein nahm. Er war umgeben von Staub, Erde, Gräsern, kleinen Ästen und Fichtennadeln, einfach dem Schmutz des Erdbodens. Und bei genauerem Hinsehen entdeckte er sogar Käfer, Ameisen und kleine Spinnen, die sich anschickten, die ausgebreitete Decke zu erklimmen. Er unterdrückte seinen Widerwillen und setzte sich. Wer auf Wanderschaft war, der musste Profanes erdulden. Schließlich konnte er vom niederen Getier, das womöglich die Zaradulen für ihre Beschwörungen benutzten, nicht erwarten, dass sie Heiliges erkannten, geschweige denn respektierten.
Brot, Braten, Käse und Obst verzehrte er dann doch mit Appetit, denn der ungewohnte Ausflug hatte ihn hungrig gemacht. Die Sonne war bereits hinter den Baumwipfeln verschwunden, und bald würde es dunkel werden. Er hoffte, vorher noch Caschu zu erreichen, ein kleines Dorf, das auf seinem Weg liegen sollte, wie man
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