Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
lesen?«
»Nein.« Caelian erzählte von den beiden Tafeln und dass er bereits mit der Übersetzung begonnen hatte, als er die Nachricht erhielt, dass Rastafan zur Kurdurquelle aufgebrochen sei. »Ich habe alles mitgebracht, die Schriftrollen und die Anfänge meiner Übersetzung. Bei Euch sind sie am besten aufgehoben. Bitte übernehmt Ihr die weitere Arbeit daran, ich muss zu Jaryn.«
Ehrfürchtig nahm Anamarna die Schriftrollen entgegen. »Du könntest mir keine größere Freude bereiten.« Er nahm die Tafeln zur Hand und fuhr mit den Fingerkuppen an den Linien der Buchstaben entlang, die Priester vor langer Zeit in den Stein eingekerbt hatten. »Zwei Tafeln, zwei Schriften, zwei Brüder und zwei Länder«, murmelte er. »Nicht zu vergessen, zwei Sarkophage, deren Mechanismus nur durch zwei Menschen gleichzeitig in Gang gesetzt werden konnte. Es läuft alles darauf hinaus: Nur durch gemeinsames Bemühen kann die Zukunft gestaltet werden.«
»Zwei Menschen …«, sinnierte Caelian. »Aber die beiden Schwestern sagten, Jaryn und ich, wir seien nicht die Richtigen. Nur zwei Könige seien dazu berufen, doch wer mag damit gemeint sein? Rastafan ist König, aber Jaryn ist nichts; ein Flüchtling, ein Heimatloser, der hier mit dem Tode bedroht ist.«
»Manchmal muss man Geduld haben. Vielleicht liegt die Antwort in diesen Schriften. Himmel, was für ein Geschenk! Wir werden den dunklen Schleier der Vergangenheit Jawendors lüften, die uns bisher verborgen war. Endlich verfügen wir über Schriften, die älter als sechshundert Jahre sind. Offenbar hat jener düstere Phemortos damals alle anderen vernichten lassen. Nur in der Pyramide von Zarador konnten sie überdauern. Wir werden zu den Anfängen des Fluches zurückkehren können.«
»Seid Ihr Euch dessen sicher?«
»Das hoffe ich stark.« Seine Augen glänzten, und seine Finger streichelten die Pergamentrollen. »Ich kann es kaum abwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Was hast du bis jetzt herausgefunden?«
»Ich bin auf einen Abschnitt gestoßen, der sich mit der Gründung Margans befasst. Es geht um den heute verfallenen und gleichzeitig verrufenen Tempelbezirk Nemmarjor, der aber nach den Dimashkhöhlen benannt wird. Damals schien sich dort ein religiöses Zentrum zu befinden, ja vielleicht das Heiligtum Jawendors schlechthin. Das Dorf, in dem die Priester wohnten und die Pilger übernachten konnten, hieß Zylon. Heute gibt es ja immer noch eine Gruppe dort, die sich Zylonen nennt, aber ob es da einen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht. Ich bin nicht weiter gekommen.«
»Dann gab es damals an jener Stelle noch keine Stadt«, überlegte Anamarna. »Das spricht dafür, dass diese Schriften sehr alt sind. Sie müssen allerdings nicht in jener grauen Vorzeit verfasst worden sein, das wäre auch später möglich gewesen. – Aber ich halte dich auf mit meinem Geschwätz. Geh in die Hütte, da muss noch Suppe im Kessel sein.«
3
Während Caelian eine Schüssel füllte, beobachtete er durch die offene Tür, wie sich Anamarna die Schriftrollen unter den Arm klemmte. Die Neugier spannte seine Lippen und ließ seine Augen funkeln. Er verschwand hinter dem Haus. Caelian lächelte vor sich hin: Der Alte konnte es nicht erwarten. Wahrscheinlich befand sich dort ein ruhiges Plätzchen, an das er sich mit seinem Schatz zurückziehen wollte.
Caelian setzte sich an den Tisch vor der Hütte und löffelte die Suppe. Sie ist essbar, dachte er, aber gut gewürzt ist etwas anderes. Er hatte noch nicht alles aufgegessen, da hörte er Stimmen. Das mussten Rastafan und Aven sein. Aven kannte er vom Sehen, das war ein netter, harmloser Junge. Aber auf Rastafan musste er sich innerlich einstellen. Ihr Abschied in der muffigen Dachkammer vor den Toren Margans war nicht besonders freundschaftlich ausgefallen.
Caelian beugte sich über die Schüssel und tat so, als habe er das Herannahen der beiden noch nicht bemerkt. Rastafan schien gut aufgelegt zu sein. Er machte Scherze, und Aven lachte. Caelian dachte sich seinen Teil. Die beiden waren am Teich gewesen, und da musste es zwischen Rastafan und Aven vergnügt zugegangen sein. Doch Rastafans gute Laune war mit einem Schlag dahin, als er Caelian erblickte. Das erkannte dieser an der aufgewühlten Art, wie Rastafan seinen Namen hervorstieß.
Caelian drehte den Kopf, als sei er überrascht, Rastafan zu erblicken, schob dann die Schüssel zur Seite, erhob sich und machte eine tiefe Verbeugung, die er mit einer ausholenden Armbewegung
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