Lady Chatterley (German Edition)
acht Kilometern –, war er müde. Er stieg auf die Hügelkuppe und sah um sich. Kein Laut rings, außer dem Geräusch, dem schwachen, schürfenden Geräusch von der Stacks-Gate-Grube, die pausenlos in Betrieb war; und kaum ein Licht, außer den leuchtenden elektrischen Lichtketten bei den Werkanlagen. Die Welt lag dunkel und dunstig im Schlaf. Es war halb drei. Sogar im Schlaf war es eine unruhige, grausame Welt: sie rührte sich im Rattern eines Zugs oder eines großen Lastwagens auf der Straße und zuckte auf in einem roten Blitz aus den Hochöfen. Es war eine Welt von Eisen und Kohle, von der Grausamkeit des Eisens und dem Rauch der Kohle und der unersättlichen Gier, die alles trieb. Nur Gier, Gier, die sich im Schlaf rührte.
Es war kalt, und er hustete. Ein scharfer, kalter Windzug strich über die Hügelkuppe. Er dachte an die Frau. Er gäbe alles hin, was er besaß oder vielleicht noch besitzen würde, wenn er sie jetzt warm in seinen Armen halten könnte und schlafen, beide eingehüllt in eine Decke. Alle Hoffnung auf die Ewigkeit und allen Gewinn der Vergangenheit würde er hingegeben haben, wenn er sie jetzt, warm neben sich, in eine Decke gehüllt, bei sich haben und schlafen, nur schlafen könnte. Es war, als sei der Schlaf mit der Frau in seinen Armen die einzige Notwendigkeit.
Er ging zur Hütte, wickelte sich in die Decke und legte sich auf dem Boden zum Schlafen nieder. Aber er konnte nicht schlafen, er fror. Und überdies war er sich seiner unvollkommenen Natur grausam bewußt. Grausam empfand er den unvollkommenen Zustand seines Alleinseins. Er sehnte sich nach ihr, wollte sie berühren, wollte sie fest an sich pressen in einem Augenblick der Vollkommenheit und des Schlafs.
Er stand wieder auf und ging hinaus, diesmal zum Parktor hin; dann langsam auf dem Pfad dem Haus zu. Es war bald vier Uhr, noch immer klar und kalt und kein Zeichen des Morgens. Doch er war das Dunkel gewöhnt, er konnte gut sehen.
Langsam, langsam zog das große Haus ihn an, wie ein Magnet. Er wollte ihr nah sein. Es war nicht Begierde, nicht das. Es war das bittere Gefühl unvollkommenen Alleinseins, das ihn sich sehnen ließ nach einer still in seinen Arm geschmiegten Frau. Vielleicht würde er sie finden. Vielleicht könnte er sie zu sich herausrufen oder einen Weg finden, zu ihr hineinzukommen. Denn sein Verlangen war gebieterisch.
Langsam, lautlos stieg er den Abhang zum Haus hinauf. Dann kam er zu den hohen Bäumen oben auf dem Hügel, weiter zur Auffahrt, die in großem Bogen um eine rautenförmige Grasrabatte auf den Eingang zulief. Er konnte schon die beiden herrlichen Buchen sehen, die sich auf dieser großen, ebenen Raute vor dem Haus erhoben und sich dunkel gegen den dunklen Himmel abzeichneten.
Da war also das Haus, niedrig und langgestreckt und konturenlos; unten brannte ein Licht, in Sir Cliffords Zimmer. Doch in welchem Zimmer sie war, die Frau, die das andere Ende des zarten Fadens hielt, der ihn so gnadenlos zog, das wußte er nicht.
Er kam ein wenig näher, das Gewehr in der Hand, verharrte regungslos auf der Auffahrt und beobachtete das Haus. Vielleicht konnte er sie sogar jetzt finden und auf irgendeine Weise zu ihr kommen. Das Haus war nicht unbezwinglich, und er war so findig wie ein Einbrecher. Warum nicht zu ihr kommen?
Er stand regungslos, wartete, während hinter ihm blaß und unmerklich die Dämmerung heraufzog. Er sah, wie das Licht im Haus verlosch. Aber er sah nicht, daß Mrs. Bolton ans Fenster trat und den alten Vorhang aus dunkelblauer Seide zurückschob und aus dem dunklen Zimmer hinaussah ins Halbdunkel des nahenden Tages, Ausschau hielt nach der ersehnten Dämmerung und wartete, daß Clifford sich wirklich vom Tagesanbruch vergewissert habe. Denn wenn er des Tagesanbruchs gewiß war, schlief er fast augenblicklich ein.
Blind vor Schlaf stand sie am Fenster und wartete. Und während sie dastand, fuhr sie zusammen und schrie beinah auf. Denn da draußen auf der Auffahrt stand ein Mann, eine schwarze Gestalt im Zwielicht. Mühsam kam Mrs. Bolton zu sich und sah angespannt hinaus, doch verhielt sie sich still, um Sir Clifford nicht aufzustören.
Das Tageslicht fing an zu knistern in der Welt, und die dunkle Gestalt schien kleiner zu werden und schärfer umrissen. Sie erkannte das Gewehr und die Gamaschen und die ausgebeutelte Joppe – es mußte Oliver Mellors sein, der Heger. Ja, da war auch der Hund, der wie ein Schatten umherschnüffelte und auf ihn wartete!
Aber was wollte
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