Lady Chatterley (German Edition)
hier, wiewohl sie ihm nie viel bedeutet hatte. Und er konnte das Leben hinbringen, von einem Tag zum andern existieren, ohne Bindung, ohne Hoffnung. Denn er wußte nicht, was er mit sich tun sollte.
Er wußte nicht, was er mit sich tun sollte. Seit er ein paar Jahre lang Offizier gewesen war, unter Offizieren, Regierungsbeamten, ihren Frauen, ihren Familien gelebt hatte, ging ihm jeglicher Ehrgeiz ab, «hochzukommen». Zähigkeit, eine merkwürdige, sensationslüsterne Zähigkeit und Unlebendigkeit hatten die Mittel- und Oberklassen an sich wie er sie kannte –, und das machte ihn ganz kalt dagegen und gab ihm das Gefühl, anders zu sein.
So war er zu seiner eigenen Klasse zurückgekehrt. Und er fand dort, was er vergessen hatte in den Jahren seiner Abwesenheit: äußerst abstoßende Kleinlichkeit und Vulgarität des Benehmens. Endlich gab er nun zu, wie wichtig das Benehmen war.
Und er gab auch zu, wie wichtig es allein schon war, auch nur so zu tun, als ob der Pfennigkram und die Kleinigkeiten im Leben einen nichts angingen. Unter den einfachen Leuten aber gab es solche Prätentionen nicht. Ein Penny mehr oder weniger für den Speck war schlimmer als eine Änderung am Evangelium. Er konnte es nicht ertragen.
Und dann das Gezänk um den Lohn. Er hatte in der besitzenden Klasse gelebt, und er wußte, wie zwecklos es war, auf eine Lösung in den Lohnstreitigkeiten zu warten. Es gab keine Lösung, außer dem Tod. Man konnte es nur auf die leichte Schulter nehmen, die Lohnfrage auf die leichte Schulter nehmen.
Doch war man arm und elend, mußte man sie ernst nehmen. Und es war auch das einzige, das sie ernst nahmen. Die Sorge ums Geld war wie ein großes Krebsgeschwür, dem die Menschen aller Klassen erlagen. Er weigerte sich, das Geld ernst zu nehmen.
Und was sonst? Was bot das Leben sonst, außer der Sorge ums Geld? Nichts.
Gleichviel, er konnte allein leben, in der fadenscheinigen Befriedigung, allein zu sein, und Fasanen aufziehen, die dann von fetten Männern nach dem Frühstück abgeknallt werden würden. Sinnlos war es, sinnlos bis zur n-ten Potenz.
Doch warum sich Sorgen machen, warum sich beunruhigen? Er hatte sich bisher keine Sorgen gemacht, hatte sich nicht beunruhigt, bis diese Frau in sein Leben getreten war. Er war fast zehn Jahre älter als sie. Und er war tausend Jahre älter an Erfahrung, er hatte ganz unten angefangen. Das Band zwischen ihnen wurde fester. Er konnte den Tag sehen, an dem es sich ganz zuziehen würde und sie ein gemeinsames Leben beginnen müßten. «Denn der Liebe Band ist schwer zu lösen.»
Und was dann? Was dann? Müßte er wieder anfangen, mit etwas, das gar kein rechter Anfang war? Durfte er diese Frau an sich ziehen? Würde er den grauenhaften Zank mit ihrem lahmen Mann auf sich nehmen müssen? Und dazu noch den grauenhaften Zank mit seiner brutalen Frau, die ihn haßte? Jammer über Jammer. Und er war nicht mehr jung und lebenslustig. Er zählte auch nicht zu den Sorglosen. Jede Härte, jede Häßlichkeit würde ihn verletzen – und die Frau!
Aber selbst wenn sie sich von Sir Clifford und seiner eigenen Frau lösen könnten, selbst wenn sie frei würden – was sollten sie tun? Was sollte er tun? Was sollte er mit seinem Leben tun? Er mußte etwas tun. Er konnte sich nicht einfach an sie hängen, von ihrem Geld leben und von seiner eigenen schmalen Pension.
Es war unlösbar. Ihm fiel nichts anderes ein, als nach Amerika zu gehen, neuen Wind um die Nase zu bekommen. Er mißtraute dem Dollar gründlich. Aber vielleicht, vielleicht gab es dort noch etwas anderes.
Er fand keine Ruhe und konnte sich erst recht nicht schlafen legen. Nachdem er wie in einem Starrkrampf bitterer Gedanken dagesessen hatte, bis Mitternacht, erhob er sich plötzlich von seinem Stuhl und nahm seinen Mantel und das Gewehr.
«Komm mit, altes Mädchen», sagte er zur Hündin, «für uns ist’s draußen besser.»
Die Nacht war sternenhell, doch ohne Mond. Langsam, bedachtsam, heimlichen, leisen Schritts machte er seine Runde. Das einzige, was ihm zu schaffen machte, waren die Kaninchenfallen der Grubenarbeiter. Besonders die Leute von Stacks Gate stellten sie auf, drüben bei Marehay. Aber jetzt war Schonzeit, und sogar Grubenarbeiter respektierten das ein wenig. Dennoch, der heimliche Kontrollgang auf der Suche nach Wilderern beschwichtigte seine Nerven und lenkte seine Gedanken ab.
Als er fertig war, als er langsam, vorsichtig seinen Bereich abgeschritten hatte – es war ein Weg von fast
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