Lady Daphnes Verehrer
genau das völlig gleichgültig zu sein schien.
Sie hatte keine Ahnung, wer ihre gemeinsamen Freunde sein mochten, aber er kam ihr irgendwie bekannt vor; als hätte sie ihn zumindest irgendwann einmal aus der Ferne gesehen. Sie durchforschte ihr Gedächtnis und versuchte, ihn einzuordnen. Es war weniger sein Gesicht, das Erinnerungen in ihr weckte, sondern eher seine Haltung und seine arrogante und gleichmütige Ausstrahlung, die man wahrscheinlich schon vom anderen Ende des Gartens aus wahrnehmen konnte.
»Ich wusste nicht, dass Mrs Joyes so jung ist«, sagte er erstaunt und kam auf sie zu. »Ich hatte mir eine Frau in reiferen Jahren mit der eisernen Miene einer Reformerin vorgestellt.«
»Ich bin reif genug und kann, wenn nötig, sehr eisern sein.«
»Da bin ich mir sicher.« Er warf ihr ein Lächeln zu. Ein recht vertrauliches, beinahe aufreizendes. Er tat so, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis, aber sie konnte sich nicht vorstellen, worin dieses Geheimnis seiner Meinung nach bestand.
Langsam und in aller Ruhe, so als hätte er den ganzen Tag dafür Zeit, schlenderte er um sie herum, als wäre sie eine Statue, die zur Betrachtung inmitten der Blumen aufgestellt worden war.
Sie wünschte, sie könnte so tun, als wüsste sie nicht, was er dachte, während er sie umkreiste. Doch es lag unseligerweise in der Luft. Sie drehte sich nicht, um ihn im Auge zu behalten, aber das brauchte sie auch nicht. Sie spürte jeden Schritt von ihm, und sein glühender Blick brannte geradezu Löcher in ihr Kleid.
»Wenn Sie kein Anwalt sind, der mit dem Testament befasst ist, mit wem habe ich es dann zu tun, Sir?«
Er beendete seine Runde und baute sich vor ihr auf. »Ich bin Castleford.«
Castleford? Ach du lieber Himmel – der
Herzog
von Castleford?
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mrs Joyes? Gerade waren Sie noch außerordentlich gefasst, aber nun scheinen Sie mir fast einer Ohnmacht nahe zu sein. Wenn mein Versäumnis, mich nicht eher vorgestellt zu haben, Sie derart erschüttert hat, bin ich untröstlich.«
Seine teuflischen Augen straften seine liebenswürdigen Worte Lügen. Es freute ihn, dass er sie nervös gemacht hatte. Eigentlich war sie sehr stolz auf ihre Selbstbeherrschung und ihre Unerschütterlichkeit, die es ihr ermöglichten, allzeit die Fassung zu wahren. Das half ihr, wie sie gelernt hatte, anderen gegenüber nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Sie schluckte ihre Überraschung hinunter. »Ich bin weder erschüttert noch fühle ich mich unwohl, also machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin nur verwirrt, weil ich nicht weiß, was Sie mit der Testamentsvollstreckung zu tun haben könnten, Eure Hoheit.«
»Ah.« Er kratzte sich am Kopf und gab sich ebenfalls verwirrt. »Nun, wie es aussieht, bin ich der neue Besitzer dieses Anwesens. Aus unerfindlichen Gründen hat Becksbridge es mir hinterlassen.«
Einen Augenblick lang weigerte sich ihr Verstand, zu begreifen, was er gesagt hatte. Als seine Worte schließlich zu ihr durchdrangen, waren ihre Selbstbeherrschung und ihre Unerschütterlichkeit dahin. Zum ersten Mal seit Jahren – vielleicht sogar in ihrem Leben – ergriff ein heilloser Zorn von ihr Besitz.
Becksbridge hatte
ihm
dieses Anwesen vererbt?
Castleford
? Einem Mann, der so reich war, dass er für noch mehr Besitztümer gar keine Verwendung hatte? Einem ewig betrunkenen, berüchtigten Wüstling, der sich um nichts und niemanden scherte?
Becksbridge, du unerträglicher, verlogener Schurke!
2
Mrs Joyes war hochrot im Gesicht geworden. Der Blick aus ihren grauen Augen, vor wenigen Minuten noch kühl wie ein bedeckter Winterhimmel, sprühte nun förmlich Feuer. Castleford war froh, dass die Pistole, die sie besaß, nicht in Reichweite war.
Leider hatte ihr lodernder Blick in diesem Moment nichts Gutes zu bedeuten. Was äußerst schade war. Er fragte sich, ob sie auch im Bett so feurig sein konnte, selbstverständlich aus ganz anderen Gründen …
Sie war eine hinreißende Frau, weshalb er fast augenblicklich begonnen hatte, über erotische Dinge nachzudenken. Sie war groß und elegant und hatte eine bezaubernde Blässe, wie er sie selten gesehen hatte. Ihr ganzes Erscheinungsbild entsprach einer Palette von Weißtönen, die ein wenig mit Farbe versetzt waren. Eine Spur von Gelb in ihrem hellen Haar. Ein Hauch Ocker auf ihrer elfenbeinfarbenen Haut. Grau in ihren intelligenten Augen. Und das hellblaue Kleid, das sie trug, vervollständigte die Komposition. Er hatte einmal Porzellanfiguren
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