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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Außerdem war es eigentlich schon zu spät, fast vier, und die halsabschneiderischen Italiener verlangten für die Liegen und Sonnenschirme wahrscheinlich noch den vollen Preis. Aber da das Mädchen, seit es sich in die Lippe gebissen hatte, hinter ihr herwankte wie ein Automat, brauchte sie Abstand. Und wo war Schweigen natürlicher als am Strand? Dafür, dass Martine sofort einwilligte, verabscheute sie das Mädchen trotzdem noch mehr. Warum begehrte es nicht auf, warum ließ es sich, da es doch als Freundin gekommen war, nun behandeln wie eine dumme Schülerin? Fiona wurde wütend, und das tat ihr gut. Wozu machte sie sich eigentlich so viele Gedanken, wer wann was über sie erfuhr? Die meisten Menschen waren so viel weniger aufmerksam, so viel weniger misstrauisch, so viel sorgloser als sie, da konnte sie ihre Vorsichtsmaßnahmen wahrlich lockern.
    Sie verhandelte gereizt mit dem Italiener, der für die Liegen tatsächlich den vollen Betrag wollte, und wandte sich schon zum Gehen, in Richtung des kleinen, vermüllten Strands für die Einheimischen, da lenkte er ein. Na, wer sagt’s denn, zischte sie triumphierend über die Schulter in Richtung Martine, die kaum verstanden hatte, worum es ging. Wie eine Königin schritt Fiona die freien Liegen ab, der Italiener mit dem Sonnenschirm immer hinter ihr her, aber die einen waren ihr zu weit vom Wasser, die anderen zu nah am Kindergeschrei. Endlich ließ sie sich nieder und bezahlte. Fast war sie erregt, als sie sich unter ihrer weiten Seidenbluse umzog und den Badeanzug vorsichtig über die buckligen Verbände hob. Was könnte sie Martine sagen, wenn sie fragte? Und würde sie fragen, würde sie es wagen? Wie viel verstand man überhaupt davon, wenn man siebzehn war?
    Als sie aufschaute, ging eine Schwangere vorbei, das war kein gutes Zeichen. Fiona zwang sich, genau hinzusehen. Geschwollene Knöchel, hervortretende Venen, unregelmäßige Pigmentflecken auf der Haut, dazu der watschelnde Gang und ein Gesichtsausdruck wie ein Kalb, das sich, blass zwar, auf die Schlachtung freut. Was hätte sie dafür gegeben, dieses Kalb zu sein. Was konnte sie sich gleichzeitig daran weiden, selbst eine attraktive Frau zu sein und kein bizarrer Ballon.
    Mit einem Ruck zog Fiona ihre Bluse über den Kopf, warf sie in hohem Bogen hinter sich auf die Liege und sah sich nach ihrem Publikum um. Ihr Publikum, ein Mädchen namens Martine, dessen sonnenverbrannter Körper mit goldenem Flaum bedeckt war, hockte ein paar Meter weiter im Sand, drehte eine kleine Muschel in den Händen und schaute aufs Meer. Es hatte nichts mitbekommen, es hatte sich für eventuell aufblitzende Nacktheiten seiner unwirschen Lehrerin nicht im mindesten interessiert, ihm war sogar die Schwangere entgangen, von der nur noch ein bunt schaukelndes Hinterteil zu sehen war.
    Fiona atmete ganz bewusst aus, bis zum hintersten Lungenbläschen. Dann ging sie zu Martine, kniete sich zu ihr in den Sand und legte ihr eine Hand zwischen die Schulterblätter. Martine fuhr zusammen und sah sie an, als erwarte sie einen Schlag. Dann entspannte sich ihr Ausdruck und wurde ganz weich. Das war Fiona schon wieder zu viel, sie nahm die Hand von Martines flaumigem Rücken und zwickte sie stattdessen fest in den Oberschenkel. Weißt du eigentlich, dass du schon Cellulitis hast, rief sie wie belustigt aus und strich mit der Fingerkuppe über ein paar hellere Streifen. Martine packte ihre Hand und nahm sie weg, hielt sie noch einen Augenblick lang in der Luft und legte sie Fiona auf deren eigenen Oberschenkel zurück. Das ist vom Wachsen, sagte sie leise, und wenn du mir, wie meine Mutter, jetzt noch eine Zahnspange empfiehlst, dann fahre ich nach Hause.
    Fiona starrte sie an. Mit deinen Zähnen ist alles in Ordnung, sagte sie, und wie schön du bist, weißt du genau.
    Da hockten die beiden im Sand und sahen sich an, mit verschlossenen Mienen. Es war wie ein Kampf, den Fiona schließlich absichtlich verlor. Sie verzog das Gesicht, als habe sie Schmerzen, die sie in Wahrheit kaum gehabt hatte, und wenn, dann war das Wochen her. Sie bat Martine, ihr aufzuhelfen. Als beide standen, waren die drei kleinen Beulen an Fionas Bauch nicht zu übersehen, obwohl Martine sich bemühte. Und Fiona spielte ihn aus, den miesen Joker, der ihr Martine unverzüglich zurückbrachte. Sie lüpfte sogar den Beinausschnitt ihres Badeanzugs, sodass Martine freie Sicht auf einen Mullhügel bekam. Ein kleiner Eingriff, nichts Ernstes, sagte Fiona, aber erst kurz

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