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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Käse, Brot und Wein achtete Fiona auf die Blicke der Männer, die vorbeigingen, und zwinkerte Martine zu, mit der sie sich einig fühlte gegen die plumpen Zumutungen von solcher Seite. Bis jetzt war Martine sorgsam gewesen wie eine Krankenschwester, die den freien Willen der Patientin zu deren Bestem resolut beschneidet. Sie war es, die vor allem redete, obwohl sie darauf achtete, dass Fiona interessiert blieb. So sprachen sie erst über Literatur und dann über ihre Familien, besonders über ihre Geschwister, wie sehr sie sich jeweils von ihnen unterschieden, man sollte es gar nicht glauben. Aber seit sie am Brunnen Rotwein tranken, änderte sich die Stimmung. Fiona hatte erwartet, dass das angeregte Gespräch nun leiser und intimer werden und sich wieder vorsichtig ihren Wunden nähern würde. Sie wollte beichten. Sie hielt es fast nicht mehr aus, so begierig wartete sie auf Erlösung, darauf, ihr Innerstes offenzulegen, ja, sogar zu weinen und sich von Martine in die Arme nehmen zu lassen, und was dann später, inspiriert vom Weinberg, womöglich noch passierte, würde man der Ausnahmesituation zuschreiben. Hauptsache, sie war ihr Geheimnis los, Hauptsache, sie hatte endlich eine Mitwisserin für das, was ihr angetan worden war, und musste sich nachts nicht mehr die drei kleinen Nähte blutig kratzen.
    Doch Martine zog in eine andere Richtung, heiter immer weiter weg von Fionas Offenbarung am Strand. Sie wurde alberner, neckischer, so als müsste Fiona jetzt wieder heil und lustig sein, als sei es mit der Schonung langsam genug. Plötzlich machte sie Bemerkungen über ihren Freund, der bisher in ihren Gesprächen keine Rolle gespielt hatte, gerade so, als gäbe es ihn gar nicht. Die Andeutungen waren für ihn zwar nicht unbedingt schmeichelhaft, aber das störte Fiona beinahe noch mehr. Was zum Teufel wollte ihr die Kleine da sagen? Worauf wollte sie hinaus? War das ein lesbischer Antrag? Was für ein ekelhaftes Wort! Langsam zog sich Fiona von der Kante zurück, von der sich zu stürzen sie gerade noch geplant hatte, sie tastete hinter sich, fast erstaunt, dass sie so unbemerkt zurückschlüpfen konnte auf festen Grund, in ihre alte Rolle, die Rüstung stand verlässlich da und war sogar noch warm.
     
Das erste halbe Jahr haben wir ja alles andere gemacht, außer richtig. Alles andere hat mir sehr gefallen, aber bei richtig, da spür ich einfach nichts …
Martine, so genau wollte ich das eigentlich nicht wissen.
    Spätnachts in der fernen Großstadt, als sie von Jack Lemmon mit der Rose im Mund an Fiona erinnert wurde, sah sich Martine wieder im Zug nach Hause sitzen. Ihre Erinnerung spielte ihr vor, sie habe sich kaum bewegt, diese endlosen Stunden lang. Wie erstarrt schien sie da gesessen zu sein, die Knie zusammengepresst, darauf die Kekspackung. Kein italienischer Soldat sollte mehr über sie lachen. Martine fragte sich, ob sie damals erwachsener geworden war, oder ob diese zwei Tage mit Fiona sie noch mehr verwirrt hatten. Sie war sich nicht mehr böse, wenn sie so auf sich schaute, das war lange vorbei. Dieses naiv-enthusiastische, gerade zu Tode gedemütigte Mädchen, wie sie es im Zug fahren sah, hatte erstaunlich wenig mit ihr zu tun. Das Schöne an der Jugend waren ja diese großen, durch keine Erfahrung gemilderten Gefühle. Man tauschte das langsam gegeneinander ein, die Gefühle gegen die immer genauere Erfahrung, besser gesagt den Puffer, den die Erfahrung bot. Nicht, dass einen nichts mehr erschüttern konnte, aber das Erschrecken über das Unerwartete, das nahm mit den Jahren doch ab. Man lernte, die Zeichen zu lesen. Denn in Wahrheit war der ganze Besuch von Anfang an missglückt gewesen und Fiona von Anfang an latent aggressiv, obwohl Martine bis heute nicht genau verstand, warum. Vielleicht hatte sie sich zu sehr darauf gefreut und musste deshalb enttäuscht werden, denn wer zwischendrin nicht hinunterschaut, bemerkt erst ganz oben, wenn es der falsche Berg war. Und hat sich dann vergeblich angestrengt. Vielleicht hatte Orpheus von vornherein keine Chance. Vielleicht hatte Martine sich nur von ihrer zu Ende gehenden ersten Liebe ablenken wollen. Und Fiona war wahrlich keine, die sich zweckdienlich lieben ließ.
    In den vielen Jahren, die seither vergangen waren, glaubte Martine begriffen zu haben, dass Aggressionen in den seltensten Fällen denjenigen meinten, den sie trafen. Und umgekehrt. Fiona war voller Zorn gewesen, den sie, das junge Mädchen, direkt auf sich bezogen hatte. Von heute

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