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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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hinterlassen würde, aus denselben Gründen zu kurz kamen. Noras Bruder hatte ihm letztens im Scherz versprochen, ihn beim nächsten Jobwechsel sein Gehalt ausverhandeln zu lassen, als seinen Headhunter gewissermaßen.
    Nora war bei diesem Thema empfindlicher. Sie war die einzige Freiberuflerin unter ihren Geschwistern und fühlte sich deshalb stärker unter Offenbarungsdruck. Sie hasste sich dafür, dass sie bei jedem Preis, den sie mit einem Film gewann, immer als erstes ihren Vater anrief und ihm das genaue Preisgeld nannte. Doch hielt sie es für unumgänglich. Sie spürte, dass die Ängste ihres Vaters auf sie übergriffen. Um ihres Vaters willen bildete sie sich schon ein, mehr Geld haben zu sollen, als sie brauchte. Sie führte innere Zwiegespräche mit ihm, die in der Wirklichkeit niemals stattfanden. Sie sagte dann etwa, »schau, ich habe eine billige Wohnung und keine Kinder …«, und er unterbrach sie mit einem Satz, den er noch nie gesagt hatte, von dem sie aber schwören konnte, dass er ihn dachte: »Wenn du besser abgesichert wärst, hättest du vielleicht welche.«
    Als Nora zugab, dass die Honorarfrage mit Tolomei nicht angeschnitten worden sei, überfiel ihr Vater sie mit einem umständlichen Bericht über den Neffen seines Freundes Olpe, der für die Partei nach Budapest gereist sei und dort Kopien bestimmter Dokumente beschafft habe. »Es war nicht fürstlich, aber anständig«, schloss ihr Vater und sah sie streng an, »ich glaube, er hat einen ganzen Arbeitstag in Rechnung gestellt.« Daraufhin erzählte Nora, dass sie vor einiger Zeit von der Werbeabteilung eines Chemiekonzerns zweihundert Euro bekommen hatte, weil sie zufällig auf zwei verloren geglaubte Waschmittel-Spots aus den sechziger Jahren gestoßen war und der Firma davon Kopien angeboten hatte. Ihr Vater ließ sich nicht ablenken. »Wenn Olpes Neffe ein paar Hunderter plus Spesen kriegt, musst du das auch verlangen«, beharrte er. »Wenn Olpes Neffe das gekriegt hat, dann kriegt man es bestimmt automatisch«, behauptete Nora, die sich darin keineswegs sicher war, »dafür müssen sie doch Richtlinien haben.« »Sonst ruf ich den Bialik-Richard an und erzähl ihm was«, fügte ihr Vater hinzu. Aber nach einer Weile sagte er: »Wär ja nicht schlecht, wenn du noch Dreck über den Sheriff findest.«
    Ohne, dass sie es gleich merkte, begann Nora nach allen Seiten zu lügen. Dem übellaunigen Archivar Krischanek, der ihr die Bänder durch das Schiebefenster reichte, erzählte sie, sie mache Vorrecherchen für eine neue Dokumentation, über die aber noch nicht endgültig entschieden sei. Krischanek war ein Zerberus, immer misstrauisch, immer unwillig, immer demütigungsbereit. Am liebsten hätte er niemandem Bänder herausgegeben, er glaubte wohl, sie gehörten alle ihm. Nora hatte in den vielen Jahren, die sie dieser Arbeit inzwischen nachging, ein Gespür für die Systematik der Schlagworte entwickelt. Sie untergrub also Krischaneks Macht. Wenn sie in einer der kleinen Kammern vor ihrem »Turm« saß und das Material sichtete, wurde sie manchmal von angestellten Redakteuren besucht und um Hilfe gebeten. Ihr fielen die abseitigsten Begriffe ein, unter denen vielleicht noch etwas zu finden war. Und sie interpretierte mit großer Treffsicherheit die manchmal rätselhaften Stichworte, die das Archivsystem zu einzelnen Treffern ausspuckte: »Interview F. Gregor f. ›Horizonte‹, Gr. Staatspreis, Micky Maus, Hämorrhoiden, Nationalratswahl«.
    Aus Rache, und weil er darüber hinwegtäuschen wollte, dass er im Grunde nur ein Bürodiener war, behielt Krischanek Noras Themen genau im Blick. Damit sie das niemals vergaß, machte er jedes Mal Bemerkungen, wenn er ihr ihre Schachtel zuschob. »Na, noch immer nicht genug vom oh’zwickten Kanzler«, sagte er zum Beispiel, als sie sich wochenlang durch Material über den Austrofaschismus wühlte, »i hoff ja nur, Sie tragen endlich zu einer Neubewertung vom Dollfuß bei, Fräulein.« Nora sagte jedes Mal, »herzlichen Dank, Herr Krischanek«, und wenn sie die Kassetten zurückbrachte, »tausend Dank für Ihre Mühe«, das war das Maximum an Ironie, das sie sich erlaubte.
    Doch am Tag nach dem Gespräch mit Tolomei war sie unsicher. Im ›Blaubichler‹ hatte sie zu viel getrunken und geraucht, sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich weinerlich. Zum ersten Mal würde sie etwas ausborgen, das weder für eine Dokumentation noch für einen ihrer Filme bestimmt war. Im Abspann dankte sie dem Sender

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