Lakritze - Thueringen Krimi
Bislang hatte er wenig Gelegenheit bekommen, sein kriminalistisches Talent unter Beweis zu stellen. Es gab nur wenige Kapitalverbrechen in der Gegend, und wenn doch, dann wurden die Fälle erfahrenen Kollegen übergeben. Aber jetzt war Urlaubszeit, fast die Hälfte der Kommissare hatte frei. Nur Zagemann, der war noch da. Der und einige andere, mit denen Feuerbirk bis jetzt noch nicht zusammengearbeitet hatte. Frank Zagemann kannte er von früher, von der Polizeischule. Sie hatten zusammen studiert. Frank war zwei Semester unter ihm gewesen. Schon damals hatte er sich elegant gekleidet, immer im Anzug und Schlips. Er wollte Karriere machen, doch den Mordfall hatte der Chef der Kriminalpolizeiinspektion, Dirk Patzke, nicht Zagemann, sondern ihm, Feuerbirk, übertragen.
Er war fest entschlossen, diese Chance zu nutzen. Im Geist sah er sich bereits als erfolgreichen Kommissar der Erfurter Kripo im Rampenlicht stehen. Er war gut, und Patzke würde das schon bald zugeben müssen.
Hungrig hockte er am Frühstückstisch, den die Wirtin wie immer liebevoll gedeckt hatte. Die gute Frau hatte ihre Gastgeberpflichten über dem Mord nicht vergessen. So leicht ließ sich eine Thüringerin eben nicht aus der Bahn werfen.
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und er zog die Stirn kraus. Eigentlich hätte die Ritter betroffen sein müssen. Das waren sie schließlich alle, wenn es um Mord ging. Die Leute reimten sich die unwahrscheinlichsten Dinge zusammen. Schauermärchen, die Gänsehaut verursachten. Die Ritter hingegen hatte ihn bloß gefragt, wie lange er bleiben wollte.
Je länger er über den vergangenen Abend nachdachte, umso misstrauischer wurde er. Er hatte das Foto der Toten herumgezeigt. Während Zumpes offensichtlich bemüht gewesen waren, ihm zu helfen, hatte die Wirtin des Waldidylls nicht einen Blick darauf werfen wollen. Er hatte ihr das Bild buchstäblich unter die Nase halten müssen, ehe sie sich zu einer Aussage bequemte. Sie kannte das tote Mädchen nicht, er hatte es eigentlich auch nicht erwartet.
Als er nach ihrem Bruder gefragt hatte, war sie auffallend einsilbig geworden. Ihm war nichts übrig geblieben, als sich mit der Auskunft zufriedenzugeben, dass Knut Ritter nicht da war. Es war kein Problem, der Ritter lief ihm nicht davon. Er wollte ihn sich am Nachmittag zur Brust nehmen. Aber komisch war das doch, und Feuerbirk nahm sich fest vor, später nachzuhaken, wo der Ritter gewesen war. Nach dem Frühstück hatte er sich zunächst bei seinem Chef zum Rapport zu melden. Patzke legte Wert darauf, immer auf dem Laufenden gehalten zu werden.
Dumm, dass es bis jetzt nicht viel zu melden gab. Ein unbekanntes Mordopfer und von dem Täter keine Spur, das sah nicht nach Lorbeeren aus. Doch der Fall war schließlich noch frisch, keine vierundzwanzig Stunden alt.
Carla betrat den Raum. »Sollten Sie nicht längst im Dienst sein?«, fragte sie und setzte sich zu ihm. Sie hatte dunkle Augenringe, wie nach einer durchzechten Nacht.
»Kaffee?« Feuerbirk füllte die Tassen.
»Wasser oder Saft wäre mir lieber. Ich habe Durst.«
»Kein Wunder nach dem Schnaps, den Sie gestern getankt haben. Sie haben ganz schön über die Stränge geschlagen.«
Carla nahm sich ein Glas Orangensaft.
»Wo ist Ihr Freund?«, fragte Feuerbirk.
»Im Bett.«
Sie könnte ruhig ein wenig mitteilsamer sein. »Es ist gut, dass Sie sich durch den Mord nicht durcheinanderbringen lassen. Ein geregelter Tagesablauf gibt Halt.«
»Wenn es nach mir ginge, würde ich auf der Stelle nach Hause fahren.«
»Wegen der Toten?«
»Natürlich. Wir hatten vor, uns zu erholen. Stattdessen stolpern wir über eine Leiche. Wer weiß, was noch alles im Wald herumliegt?«
»Jetzt übertreiben Sie. Wir haben hier selten mit Mord zu tun.« Feuerbirk nahm sich ein Brötchen und belegte es dick mit gekochtem Schinken.
Carla tippte auf die Tageszeitung auf dem Tisch. Der Thüringer Killer schlägt erneut zu . »Der vierte Mädchenmord an einer Frau im Thüringer Wald seit 1995. Die anderen drei sind noch immer ungeklärt. Sie können die Einzelheiten nachlesen.«
Feuerbirk schob das Blatt beiseite. »Ich kenne die Fälle.«
»Der Mörder wurde nie gefasst.«
»Das überlassen Sie ruhig mir. Ich werde ihn schnappen.« Feuerbirk biss in sein Brötchen, kaute und sagte dann: »Falls es sich überhaupt um denselben Täter handelt.«
Carla schielte nach den Brötchen. Feuerbirk reichte ihr den Korb, doch sie winkte ab. »Ich verzichte erst einmal auf feste
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