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Lakritze - Thueringen Krimi

Lakritze - Thueringen Krimi

Titel: Lakritze - Thueringen Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylke Tannhaeuser
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unten zog. Dann fühlte sie seinen Finger auf ihrem Mund. Er lauschte, Carla ebenfalls. Das Blut brummte in ihren Ohren. Dann hörte sie, was Ralph offensichtlich schon die ganze Zeit vernommen hatte: ein näselnder Laut, der von leisem Schmatzen unterbrochen wurde.
    Ralph drehte ihren Kopf ein Stück nach links. »Sieh nur«, raunte er.
    Vorsichtig lugte sie über den Farn, der den Boden bedeckte. Es dauerte geraume Zeit, ehe sie die Umrisse hinter den Wedeln erkannte. Eine Hirschkuh säugte ihr Kalb, keine fünf Meter von ihr entfernt.
    Ralph zeigte auf die dunklen Flecken, die mit den Bäumen im Hintergrund verschmolzen. Dort ästen fünf oder sechs weitere Tiere. Sie schienen sich sicher zu fühlen. Sie ahnten wohl nichts von ihrer Anwesenheit.
    Carla richtete sich ein Stückchen auf, um besser sehen zu können. Ein Zweig knackte. Augenblicklich warfen sich die Tiere herum und brachen durch das Gebüsch. Enttäuscht sah Carla ihnen nach.
    Ralph stand auf. »Sie haben ein ausgezeichnetes Gehör.«
    »Es tut mir leid, ich wollte sie nicht vertreiben.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Immerhin konnten wir sie eine Weile lang beobachten. So etwas gelingt nicht oft.«
    »Du kennst dich gut aus im Wald.«
    Ralph, der schon im Gehen begriffen war, sah sich zu ihr um. »Wie meinst du das?«
    »Na ja, du schleichst wie ein Jäger lautlos durch den Wald.«
    »Ein Jäger?« Er zog die Augenbrauen zusammen.
    »Oder ein Förster, ein Wildhüter, irgendetwas in der Art«, setzte sie hinzu.
    Ralph kickte einen abgestorbenen alten Ast zur Seite. Aufgescheuchte Käfer krabbelten davon. Ein großer schwarzer kroch ihnen langsamer nach.
    »Ein Totengräber«, flüsterte Ralph gedankenversunken.
    Carla starrte auf das fast drei Zentimeter lange Tier. Die Fühler an seinem Kopf tasteten hin und her. Seine sechs Beine fanden nur mühsam Halt. Er schwankte wie ein schwer beladener Lastkahn über das Gras. Carla schüttelte sich. »Lass uns gehen.«
    Ralph hatte sich hingekniet und war völlig in den Anblick des Käfers versunken.
    Sie fasste nach seinem Arm. »Komm schon, wir gehen zurück. Es ist kühl geworden. Außerdem ist es fast finster.«
    Ihre Stimme musste Ralph in die Gegenwart zurückgebracht haben. Sein Blick klärte sich. »Keine Bange, ich komme auch im Dunkeln zurecht.«
    »Kann schon sein, aber ich will lieber sehen, wohin ich meine Füße setze.« Sie hörte sich wie eine zickige Dreizehnjährige an. Aber es war ihr ernst. So schnell wie möglich wollte sie in das anheimelnd beleuchtete Dorf zurück. Stumm liefen sie nebeneinander her.
    Auf der Tafel neben der Tür des Dorfkruges prangte in kindlicher Schreibschrift das Angebot des Tages: »Hirschbraten mit Preiselbeeren«. Carla hatte auf einmal keinen Hunger mehr.
    Ralph musste es ähnlich gehen, er bestellte sich nur eine Tomatensuppe. Carla nippte an ihrem Wein und schaute ihm beim Essen zu. Gesprächsfetzen schwirrten durch den Raum. »Elfer in der 81.« – »Ecke für Rot-Weiß.« Der Fußball hatte die Morde verdrängt.
    Carla war froh, als Ralph endlich seine Suppe gelöffelt hatte und sie in die Pension gehen konnten. Im Zimmer entschuldigte sie sich damit, dass sie noch arbeiten müsse. Ralph verzog sich mit der Tageszeitung aufs Bett, doch obwohl er sich Mühe gab, konnte er sich nicht auf die Lektüre konzentrieren. Seine Gedanken wanderten zurück in den Wald. Carla hatte ihn mit einem Jäger verglichen. Das Wort hatte etwas in ihm zum Klingen gebracht.
    Sein Blick wanderte zu Carla, die am Tisch saß und auf der Tastatur ihres Notebooks herumhämmerte. Um ihren Mund lag ein angestrengter Zug. Eine steile Falte teilte ihre Stirn. Einem Impuls folgend, wollte er aufstehen und zu ihr gehen, um die Falte wegzuküssen. Doch plötzlich hatte er Angst.
    Dort im Wald, beim Anblick des Totengräberkäfers, hatte er eine sonderbare Erinnerung gehabt. Er hatte an Aas gedacht, totes Fleisch, vergraben in einem Boden, so weich, dass er unter seinen Füßen nachgab. Doch statt der Walderde hatte er Sand vor sich gesehen, heißen roten Wüstensand. Und einen Frauenkörper, von grässlichen Wunden entstellt. Das lange schwarze Haar der Frau hatte in einer tiefen Blutlache gelegen, als solle es darin gewaschen werden. Fast hätte er aufgestöhnt, hätte ihn Carla nicht angestoßen. Den Geruch des Blutes hatte sie jedoch nicht vertreiben können. Er hing ihm nach wie vor in der Nase.
    Er wickelte ein Lakritzbonbon aus dem Papier und steckte es in den Mund. Mit der

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