Lakritze - Thueringen Krimi
unwahrscheinlich.
Hatte die Kleine vielleicht eine Verabredung gehabt, die Viola verschwiegen hatte? Das würde erklären, weshalb Lilly unbedingt ausgehen wollte. Aber warum hätte Viola das nicht erzählen sollen? Lilly war tot.
Feuerbirk schob das Blatt zurück. Zagemann hatte den Bericht über Bartwick herübergeschickt, kaum dass das Fax eingegangen war. Die Polizeidienststellen hatten ausnahmsweise einmal gut mit den übrigen Landesbehörden zusammengearbeitet. Ansonsten hätte er keine Chance gehabt, an solche Berichte zu gelangen.
Der blaue Stempel in der oberen rechten Ecke des Blattes grinste Feuerbirk an. »Streng geheim«.
Bartwick, alias Mahrmann, war für den Bundesnachrichtendienst tätig gewesen, in welcher Funktion, blieb offen. Der BND hatte es sich zur Regel gemacht, so wenig wie möglich über seine Mitarbeiter preiszugeben. Zum Teufel, was sollte Feuerbirk damit anfangen?
Bartwick-Mahrmann war undurchsichtig. Weshalb trat er als Maler auf? Hatte er seinen Job für den BND an den Nagel gehängt? Oder war er undercover unterwegs? Aber ausgerechnet im Thüringer Wald?
Was mochte man im Dienst der Bundesbehörde wohl verdienen? Genügte es, um mit vierzig auszusteigen? Noch wusste er nicht, wovon Bartwick lebte. Der Rentenversicherungsträger hatte sich quergestellt, als er dort um Auskunft gebeten hatte. Die Krankenkasse hatte sich ebenfalls bedeckt gehalten, als er Näheres über Bartwicks Kopfverletzung wissen wollte.
Es klopfte. Feuerbirk blickte auf und erkannte die Psychologin, die Viola Gunder betreut hatte. Vielleicht hatte sie Neuigkeiten für ihn. Seine Laune besserte sich augenblicklich. »Frau Grünberg, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Richtig.«
Die Frau hatte eine wirklich angenehme Stimme. Sie klang wie die Herzblattfee aus einer Show, die vor einigen Jahren im Fernsehen gelaufen war.
»Gut, dass Sie kommen. Ich wollte mich ohnehin noch mal mit Ihnen unterhalten.« Er zeigte auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.
»Ich habe noch einmal mit Frau Gunder gesprochen.«
Frau Grünberg nahm Platz, und Feuerbirk schlug die Akte zu. Er lehnte sich zurück. »Haben Sie denn von Viola noch etwas über ihre Freundin erfahren?«
Frau Grünberg rückte ihre Brille zurecht. »Es ist merkwürdig. Die Mädchen waren befreundet, sie haben sich regelmäßig besucht und gemeinsame Urlaube verbracht. Trotzdem habe ich einen unterschwelligen Neid gespürt.«
»Unterschwellig?«
Frau Grünberg nickte. »Ich weiß nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll. Viola hat Lilly bewundert, aber gleichzeitig beneidet. Aus ihrer Perspektive war ihr die Freundin überlegen.«
»In welcher Hinsicht überlegen?«, fragte Feuerbirk.
»In jeder, nehme ich an. Lilly war schöner, lebensfroher, vielleicht auch klüger oder zumindest cleverer. Ihr fiel alles leichter. Jedenfalls glaubt das Viola.«
»Und hat es gestimmt?«
Frau Grünberg zog einen Zettel aus der Jackentasche und legte ihn auf den Tisch. »Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Viola hat mir ein paar Namen genannt. Gemeinsame Freunde, Mitstudenten. Die sollten Sie befragen. Vielleicht bringt Sie das weiter.«
Feuerbirk nahm den Zettel und entfaltete ihn. Vier Namen standen säuberlich untereinandergeschrieben.
»Nur vier?«
»Viola ist sehr verschlossen. Möglich, dass ich sie dazu bringe, weitere Dinge preiszugeben. Allerdings ist das nicht meine Aufgabe. Das Mädchen braucht Hilfe, sie ist am Ende.«
»Die Bulimie?«
»Magersucht.«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Bulimieerkrankte schwanken zwischen Essen und Erbrechen. Während einer Heißhungerattacke stopfen sie jede Menge Nahrung in sich hinein. Um nicht zuzunehmen, ergreifen sie anschließend Gegenmaßnahmen. Unter anderem stecken sie sich den Finger in den Mund.«
»Wie unappetitlich.«
»Bei Essstörungen gibt es wahrscheinlich eine Menge Dinge, die Sie widerlich finden würden.«
»Was bedeutet es, dass Viola magersüchtig ist?«
»Sie nimmt weniger Nahrung zu sich, als sie braucht.«
»Meine Güte.«
Der traurige Ausdruck in den Augen von Frau Grünberg ließ Feuerbirk verstummen. Sie wiegte den Kopf. »Gerade bei jungen Frauen hängt das Selbstwertgefühl oft von der Fähigkeit ab, ihr Körpergewicht unter Kontrolle zu halten.«
»Was ist mit Lilly? War die ebenfalls krank?«
»Nein, auch gesundheitlich war sie Viola überlegen.«
Feuerbirk schaute zum Fenster. Sonnenstrahlen drängten durch den Lamellenvorhang und zeichneten Streifen auf den
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