Lallbacken
Himmler es auch von seiner SS behauptete? Oder waren es jene rund dreißig Prozent der Bundesbürger, die zu rechtsextremen Auffassungen neigen und Sauberkeit, Reinheit und Anständigkeit für sich reklamieren? Oder waren die Anständigen etwa die, die bei Castortransporten mit Polizeischlagstöcken und Tränengas malträtiert und gelegentlich auch mal stundenlang eingekesselt wurden?
Nein, die konnte der Kanzler nicht gemeint haben – die waren ja eher unanständig. Tatsächlich meinte er niemanden, er redete einfach nur Blech.
Die Anständigen, die er eventuell gemeint haben könnte, die gibt es nicht, denn anständige Leute machen keinen Aufstand. Aufstandmachen ist nämlich in der deutschen Leitkultur nicht vorgesehen, also unanständig, ergo verboten. Wenn der Kanzler zum Aufstand rief, dann hatte er keinen Anstand. Da war Abstand geboten. Vor allem zum Kanzler.
Lallbacke Schröder war ein Kanzler, der es wie kein anderer verstand, blanken Unsinn zu reden und doch so zu wirken, als sei er ganz bei sich. The German Chancellor, der Weltstaatsmann, der seine niedersächsische Heimat über alles liebte, soll, so erzählte man sich, eines Tages den regierungsamtlichen Ghostwriter gerügt haben, weil der in einem Redeentwurf zum Welttourismusgipfel Rothenburg o. d. T. und Dinkelsbühl als lohnende Ausflugsziele in deutschen Landen anpries.
»Keines aus Niedersachsen?«, fragte der Kanzler, »wo bleibt das Hermannsdenkmal?«
Ja, wo bleibt es denn? Natürlich da, wo es steht: in Nordrhein-Westfalen.
Kanzler Schröder konnte, wie alle Fans der Hannoveraner Rockgruppe Scorpions, nicht unbedingt als Musikkenner gelten. Mit dem Enthusiasmus des Ahnungslosen schwadronierte er: »Das Album ›Westernhagen‹ mit dem programmatischen Titel ›Freiheit‹ sprengt alle Vergleiche.«
Hör mal, Schröder: Vergleiche werden eigentlich so gut wie nie gesprengt. Erst wenn der letzte Vergleich gesprengt ist, wird Schröder begreifen, dass er unter den Trümmern seiner Sprache begraben liegt.
Was wird über Gerhard Schröders siebenjährige Kanzlerschaft dereinst in den Geschichtsbüchern stehen? Dank Schröder hatte die SPD zu keinem Zeitpunkt ihren Verzicht auf das Wort »nachhaltig« erklärt, denn ohne Nachhaltigkeit wäre die gesamte sozialdemokratische Programmatik zusammengebrochen: In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung kam das Wort 77 Mal vor, weil die nachhaltige Wirkung des »Nachhaltigkeitsfaktors« immer auch nachhaltige Folgen hat. Und so gelang es, mit der souveränen rot-grünen Reformpolitik die Zahl der SPD-Mitglieder in einem faszinierenden Gesundschrumpfungsprozess um fünfzehn Prozent zu reduzieren. Kanzler Schröder ging es nicht darum, eine Idee, eine Richtung, die als richtig erkannt worden ist, durchzusetzen. Als richtig galt ihm, was sich durchsetzen ließ. Trotzdem blieb die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Nur versteht sie nach Schröder unter sozialer Gerechtigkeit etwas anderes als vor Schröder.
Bezeichnend war das Motto eines Parteitages: »Das Wichtige tun – Wege zu einem neuen Fortschritt!«
Das Richtige stand nicht zur Debatte, lieber nahm man sich wichtig.
Welche Ziele die »Wege zu neuem Fortschritt« anstrebten, blieb unklar – wahrscheinlich wollte man nur wieder Seit an Seit auf Umwegen die Abwegigkeiten des alten Fortschritts beschreiten.
Weil der Kanzler ganz genau wusste: »Ein Alphatier zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht mit dem Kopf durch die Wand will, denn dann gewinnt nur die Wand«, konzentrierte er sich darauf, mit dem Hintern durch die Wand zu kommen: Von Endorphinen und Testosteron übermannt, geriet er nach seiner verlorenen Bundestagswahl außer sich. »Ich bin der Wunschkandidat von Gerhard Schröder«, lallte Schröder, »ich habe mich immer für Gerhard Schröder eingesetzt, damit Gerhard Schröder Gerhard Schröder bleibt, ich bin Gerhard Schröder seit Jahren verbunden, und die einzige Koalition, die für Gerhard Schröder in Frage kommt, ist die zwischen Gerhard und Schröder.« Er fletschte die Zähne, erklärte, er habe die Wahl gewonnen, und entließ alle Fernsehredakteure. Dafür erhielt Gerhard Schröder den Sonderpreis in der Kategorie »Beste Comedy-Performance in einer Politiksendung 2005.«
Aber man musste sich um Lallbacke Schröder keine Sorgen machen. Er hatte ja seinen Freund Carsten Maschmeyer. Dieser Finanzunternehmer, langjähriger Co-Vorstandsvorsitzender der Finanzvertriebsgesellschaft AWD Holding AG, dessen mit Hilfe von
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