LaNague 05 - Der Tery
Stoffstreifen von seinem groben Hemd ab und legte ihn über die Augen des Tery. Dann machte er sich davon. Der Klang der sich entfernenden Schritte wurde bald von dem Quietschen der hölzernen Achse begleitet. Nach und nach verhallten die Geräusche.
Es war ein kleiner Akt der Freundlichkeit, dieser Stoffstreifen. Für den Tery war es völlig unverständlich, warum ein Mensch seine Augen vor den Fliegen schützen wollte, während er ihn sterbend liegenließ, aber er nahm die Linderung dankbar hin.
Die Sonne brannte auf ihn nieder, und er fühlte, wie seine trockene Zunge anschwoll, wie sie bei jedem Auftauchen aus der Bewußtlosigkeit, das immer seltener wurde, dicker war. Bald würde er zum letzten Mal aus der Ohnmacht erwachen.
Diesmal brachte ihn ein leichtes Beben des Bodens hinter seinem Kopf wieder zu sich. Er hörte Hufschlag und ein schleifendes Geräusch. Die Krieger waren zurückgekommen. Er war beinahe froh darüber. Vielleicht würden sie ihn im Vorbeimarsch zu Tode trampeln und ein schnelles Ende machen.
Aber der Hufschlag verstummte, und Fußtritte näherten sich. Mit einer schnellen Bewegung wurde der Stoffstreifen von seinen Augen genommen. Die Gesichter, die sich über ihn beugten, waren menschlich, aber es waren nicht die Gesichter von Soldaten. Vier waren es, und sie sahen einander an und nickten schweigend. Der Blonde drehte sich um und verschwand aus seinem Gesichtsfeld; zur Überraschung des Terys beugten sich die anderen über ihn und machten sich daran, die Fliegen und Stechmücken von seinen Wunden zu verjagen. Alles ohne ein einziges Wort.
Der blonde Mann kam mit einem der Pferde zurück. Von einem Geschirr, das ihm um den Nacken lag, führten zwei lange Stangen an den eingefallenen Flanken entlang und berührten weit hinter der Hinterhand den Boden. Aus Seil war eine Art Netz zwischen die Stäbe geflochten.
Immer noch kein Wort.
Ihr Stillschweigen verwirrte ihn, denn sie waren offenbar auf der Hut. Welche Gefahr lauerte in diesen Wäldern außer Kitrus Truppen? Und was hatten diese Menschen von Kitru zu fürchten, der doch nur Terys erschlug?
Das Auftauchen eines Wasserkrugs unterbrach seine Überlegungen. Er wurde an seine Lippen gehalten, so daß ein paar Tropfen herausrannen. Der Tery versuchte zu schlucken, aber das Wasser geriet ihm in die Luftröhre, und er mußte husten. Der Krug wurde weggezogen, aber wenigstens fühlte sich seine Zunge nicht mehr wie getrocknetes Leder an.
Mit äußerster Zartheit und einem fast unheimlichen Gleichklang der Bewegungen hoben die vier Männer den Tery hoch und betteten ihn in das Geflecht der Bahre. Alles ohne zu sprechen. Vielleicht waren sie Geächtete. Aber selbst wenn das stimmte, so wirkte ihr Schweigen auf den Tery doch allmählich als übertriebene Vorsicht – die Soldaten waren schon lange fort.
Die Menschen saßen auf und lenkten ihre Pferde auf den dichten Wald zu. Der holprige Boden schüttelte die Bahre so heftig, daß einige der Wunden, die sich kaum geschlossen hatten, wieder aufbrachen, aber der Tery ertrug schweigend die Schmerzen. Er fühlte sich sicher und geborgen, so, als ob alles in Ordnung kommen würde. Und dabei hatte er nicht die leiseste Ahnung, warum er so empfand.
Der Tery, der fast sein ganzes Leben im Wald verbracht hatte, kannte den Pfad nicht, auf dem sie ritten. Sie passierten feuchte Grotten aus riesigen, faulfarbenen Pilzen, die oben zusammenwuchsen und die Sonnenstrahlen fast völlig abschirmten, und am Rand sich hinziehendes Gewucher grüner Schlingpflanzen, die nur darauf lauerten, jedes ungeschickte Geschöpf, das in ihre Reichweite kam, in ihren gähnenden, fleischfressenden Magen zu ziehen. Nach einer Ewigkeit, so kam es ihm vor, ritt die Gruppe durch ein besonders dichtes Waldstück und kam auf eine Lichtung mit einem Lager.
Die Zelte waren von unterschiedlicher Form und Größe. Sie sahen unfertig aus und schienen planlos über das Gelände verstreut zu sein. Auch die Bewohner boten kein einheitliches Bild: die einen waren feingliedrig, andere fettleibig. Das hatte der Tery kaum erwartet. Er hatte sich vorgestellt, unter ein Rudel magerer, wölfischer Ausgestoßener zu geraten – so wie sie sein müßten, um sich gegen Kitrus erfahrene Krieger zu behaupten. Aber da gab es Frauen und Kinder, und einige unterbrachen ihre Arbeit oder ihr Spiel, um ihn anzustarren, als er vorbeikam. Diese Leute sahen wirklich nicht wie Geächtete aus … und über allem lastete ein drückendes Schweigen.
Seine
Weitere Kostenlose Bücher