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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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daß ich écrivain war. Sofort schlich sich ein Ton von Hochachtung in seine Stimme. Mir verschlug es die Sprache. Gab es also doch einen Ort auf Erden, wo ein Schriftsteller geschätzt wurde? Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Der Beamte fragte gar nicht erst, was ich denn geschrieben habe. Nach allem, was er wußte, hätte ich der ärgste Schreiberling sein können. Es war der Beruf als solcher, den er ehrte. Wenn man in Amerika erwähnt, man sei Schriftsteller, weckt man nur Mißtrauen und Feindschaft. Wenn man nicht einen gefeierten Namen hat, kommt dem andern, besonders wenn er ein Vertreter der Obrigkeit ist, als erstes der Gedanke in den Sinn, daß man unehrlich, verantwortungslos und wahrscheinlich ein Anarchist sei. Zeitungsmann zu sein, ist eine andere Sache. Journalisten sind gefährliche Burschen; die können dich mit ein paar Worten zum gemachten oder zum gebrochenen Mann machen. Aber ein gewöhnlicher Schriftsteller, ein Bücherschreiber, bah!, ein wertloser Geselle, auf der gleichen Stufe wie ein ToIlettenwärter.
    Wohl die erste ganz große Überraschung erlebte ich, als ich eines Tages in einem kleinen Restaurant an der rue des Canettes , wo ich einige Wochen regelmäßig gegessen hatte, die patronne fragte, ob sie mir Kredit gewähren würde, wenn ich es einmal nötig hätte. «Aber natürlich, Monsieur, mit Vergnügen. Gerne», fügte sie hinzu. «Was für ein Land!» dachte ich. «Sie kennen mich kaum, und schon esse ich auf Kredit.» Ich versuchte mir einen Restaurantbesitzer in New York vorzustellen, der das gleiche für mich getan hätte. Mir kamen nur solche in den Sinn, die von Geschirrabwaschen als Gegenleistung sprachen.
    Das war die erste angenehme Überraschung. Die zweite war sogar noch angenehmer. Es war die Gewißheit, daß ich von einem garçon eines bestimmten Cafés am Ende des boulevard Saint-Michel jederzeit, sofern ich sie brauchte, ein paar Francs bekommen konnte. Wir hatten gelegentlich ein paar Worte über Dostojevskij gewechselt, wenn ich meinen café noir trank. Dieser kleine Gedankenaustausch genügte ihm offensichtlich, um mir volles Vertrauen zu schenken. Natürlich ließ ich es nicht bei ein paar Francs bewenden; es war genauso leicht, ein paar hundert von ihm zu bekommen. Um dem Ganzen aber die Krone aufzusetzen, lud er mich gelegentlich zum Essen und ins Theater ein. Ich muß hier erwähnen, daß ich, als ich Amerika verließ, nicht einen Freund hatte, der mir mehr als einen Dollar geliehen hätte. Oft gaben sie mir einen dime oder einen quarter . Gewiß, ich war ein schlechter Schuldner. Und gewiß hatte ich nicht bewiesen, daß ich ein großer Schriftsteller war. Aber wir reden hier von Freunden - viele von ihnen waren Jugendfreunde. Alle waren in gesicherten Stellungen. In Erinnerung an jene Tage, an ihre Vorsicht und Knickrigkeit, habe ich es mir zur Regel gemacht, verschwenderisch und leichtsinnig zu sein, ganz besonders, wenn es ein Fremder ist, der mich um Hilfe bittet.
    Und jetzt ein Wort über die kleinen Verzückungen. Eine davon hängt - ich muß meine amerikanischen Leser warnen - mit der Toilette zusammen. (Warum fahrt ihr so zusammen, wenn das Wort Toilette fällt?) Es war so: ein plötzliches Bedürfnis auf der Straße, und ich stürzte ins nächste Lokal, das zufällig ein kleines Hôtel war. Es war nicht nur ein kleines Hôtel, es war außerdem ein sehr altes. Die einzigen im Augenblick verfügbaren cabinets befanden sich im dritten Stock. Ich raste hinauf, kam noch eben rechtzeitig an und versuchte, während ich an meinen Kleidern herumhantierte, die Tür zu schließen. Der Raum war so winzig, so eng, so ungeschickt gebaut - es war ein Wunder, daß ich es überhaupt fertigbrachte, mich zu setzen. Es war Tag, und so brannte natürlich kein Licht. Im Halbdunkel fand ich mich allmählich zurecht. Einige sorgfältig zerrissene Zeitungsblätter hingen am Haken. Ein gemütliches, kleines Örtchen, alles in allem, aber warum so beengt? Als ich aufstand, um meine Kleider zu ordnen, sah ich plötzlich etwas, das mir den Atem verschlug. Von einem Ort aus, der ein wahres Verlies war, schaute ich auf einen der ältesten Teile von Paris hinunter. Der Anblick war so wunderbar sanft und berauschend, daß er mir Tränen in die Augen trieb. Welch ein glücklicher Zufall, dachte ich. Wenn ich nicht von jenem Bedürfnis überrascht worden wäre, hätte ich nie gewußt, daß es einen solchen Ausblick gab. Ich wollte hinunterlaufen und meine Frau holen, doch dann

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