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Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Titel: Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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besitze eine einzigartige Kombination von Talenten, die der Spiegel für nützlich erachtet, und ich will mich, was die Tilgung meiner Schulden angeht, nicht auf meine liebreizende Cousine und William verlassen. William ist ein netter Kerl, ab und an ein bisschen reizbar, und manchmal wächst ihm Fell, aber schließlich hat jeder so seine Macken. Ich würde mich mies fühlen, wenn ich ihm etwas schuldig bliebe. Als würde ich damit seine Gutmütigkeit ausnutzen.«
    Nancys kalte Augen blickten ihn eine Sekunde lang an. »Menschen wie Sie nutzen grundsätzlich die Gutmütigkeit anderer aus.«
    Er lachte leise in sich hinein.
    »Sie lügen, ohne rot zu werden, und ihr Lächeln ist eine besonders hübsche Zugabe. Ich nehme an, ihr Gesicht leistet Ihnen, vor allem wenn es um Frauen geht, gute Dienste.«
    »Es ist recht nützlich.«
    Lady Virai sah ihn lange nachdenklich an. »Sie sind ein Halunke.«
    Darauf verbeugte er sich mit der ganzen Anmut eines blaublütigen Prinzen.
    »Sie kamen schlau, aber arm auf die Welt. In mir sehen Sie eine verwöhnte, reiche Frau, die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Sie glauben, dass ich und die Angehörigen meiner Gesellschaftsschicht nicht zu schätzen wissen, was sie haben, deshalb gefällt es Ihnen, der Aristokratie die kalte Schulter zu zeigen.«
    »Sie halten eindeutig zu viel von mir, Mylady.«
    »Ersparen Sie mir Ihr Gewäsch. Sie geben sich damit ab, Sand ins Getriebe zu streuen, Sie hassen Befehle und brechen das Gesetz nur, weil es existiert. Sie können nicht anders. Dennoch kamen Sie vor zwei Jahren mit Zaumzeug und Sporen zu mir und wollten von mir geritten werden. Und seitdem verhalten Sie sich seltsam gesetzestreu. Sie waren gut, Kaldar. Natürlich innerhalb vernünftiger Grenzen. Immerhin war da die Sache mit der Bank, die auf rätselhafte Weise in Brand geriet.«
    »Reiner Zufall, Mylady.«
    Lady Virai verzog das Gesicht. »Davon bin ich überzeugt. Ich muss wissen, warum Sie sich das alles antun, und ich habe keine Zeit zu verschwenden.«
    Das Problem mit der Wahrheit bestand darin, dass sie dem Gegner Munition lieferte, die dieser dann gegen einen verwenden konnte. Und einer Frau wie Nancy Virai drückte man nicht einfach eine geladene Waffe in die Hand. Es sei denn, es blieb einem nichts anderes übrig. Wenn er jetzt den Geheimniskrämer spielte und es mit Lügen versuchte, würde sie ihn durchschauen und in der nächsten Sekunde vor die Tür setzen. Er würde weiterhin kurzfristige Aufträge erledigen. Dabei hatte er zwei Jahre auf seine Chance gewartet. Also musste er jetzt ehrlich sein. »Vergeltung«, sagte Kaldar.
    Sie sagte nichts.
    »Die Hand hat meine Leute getötet«, erklärte er. »Meine Tanten, meine Onkel, meine Cousins, meinen kleinen Bruder. Bevor die Hand in unserer kleinen Ecke des Edge erschien, gab es sechsunddreißig Erwachsene in unserer Familie. Jetzt sind es noch fünfzehn, die einen Haufen Waisenkinder aufziehen.«
    »Wollen Sie die Agenten der Hand tot sehen?«
    »Nein.« Kaldar lächelte abermals. »Ich will sie scheitern sehen. Ich will die Verzweiflung in ihren Augen erblicken. Ich will, dass sie nicht mehr weiterwissen.«
    »Was treibt Sie an? Doch nicht bloß Hass. Menschen, die von Hass getrieben werden, sind Hohlköpfe. In Ihnen ist noch Leben. Geht es um Angst?«
    Er nickte. »Höchstwahrscheinlich.«
    »Angst um Sie selbst?«
    In Gedanken stand er wieder, von klatschkaltem Regen durchnässt, auf dem morastigen Abhang. Vor ihm lag Tante Murids Leiche zerschmettert im Dreck, ihr Blut floss leuchtend scharlachrot in den braunen Schlamm. Aber er war sich sicher, dass es nicht das war, was er eigentlich sah. In diesem Moment war ihm keine Zeit geblieben, die sich ausbreitende Blutlache zu betrachten. Er hatte alle Hände voll damit zu tun gehabt, die Kreatur zu zerlegen, die sie umgebracht hatte. Seine Erinnerung trog. Sie hatte ihren Ursprung in seinen Albträumen.
    »Woran denken Sie?«, wollte Lady Virai wissen.
    »Ich erinnere mich daran, wie meine Familie starb.«
    »Was haben Sie bei ihrem Tod empfunden?«
    »Ohnmacht.«
    Das war’s. Sie hatte es ihm entlockt. Und es tat weh. Damit hatte er nicht gerechnet, aber so war es nun mal.
    Lady Virai nickte. »Wie gut kennen Sie sich im Broken aus?«
    »Wie ein Fisch im Wasser.«
    Sie sah ihn ausdruckslos an.
    »Das Edge ist ein langer, aber sehr schmaler Streifen Land«, erklärte er ihr. »Das Moor, in dem meine Familie lebte, wird auf zwei Seiten von unwegsamem Gelände

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