Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
griffen sich ihre Beute und traten sofort den Rückzug an. Irgendwer hatte sie beauftragt und ihnen die Baupläne der Pyramide vorgelegt. Allerdings verfügt nur die Oberliga über derartiges Informationsmaterial. Der Spiegel. Oder die Hand. Das würde erklären, warum ein Dieb von diesem Kaliber auf Auftragsbasis arbeitete. Die Hand leistete selten mit Geld Überzeugungsarbeit. Meistens führte sie einem das eigene, an einen Stuhl gefesselte Kind oder die Liebste vor und versprach, einem stündlich einen ihrer Körperteile zu schicken, bis man sich mit ihren Vorstellungen einverstanden erklärte.
Da war sie, endlich, die Gelegenheit zur Konfrontation. Jetzt würde er sie bluten lassen.
Erwin betrachtete ihn.
»Was geschah, nachdem die Diebe die Pyramide verlassen hatten?«, fragte Kaldar.
»Sie verschwanden vom Angesicht der Erde.« Erwin spielte an der Konsole herum, worauf die Pyramide sich auflöste und durch das Luftbild einer kleinen Stadt ersetzt wurde. »Das ist Adriana. Vierzigtausend Einwohner. Zweihundertzwanzig Ligen nördlich, jenseits der Grenze, auf unserem Gebiet. Eine kleine, malerische Ansiedlung, die dafür berühmt ist, dass dort nach der Überquerung des Ozeans die ersten Schiffe von Adrianglia anlegten. Viele Schulausflüge führen dorthin. Sechs Stunden und zehn Minuten nachdem die Diebe die Pyramide verlassen hatten, flog Adrianas hoch gerühmter Brunnen in die Luft. Die Leute aus der Stadt, die zuerst ankamen, wurden schwer krank. Sie berichteten von unsichtbaren Insekten auf der Haut, Hitzewallungen, Schüttelfrost, vorübergehender Blindheit und Erbrechen.«
Reaktionen auf die Magie der Hand. Kaldar verzog das Gesicht. Der Spiegel ergänzte die Gaben seiner Agenten mit allen Schikanen, während die Hand mit magischen Modifikationen arbeitete. Offiziell hielten sich sämtliche Länder des Westkontinents an ein Abkommen, das die Veränderung des menschlichen Körpers durch Zauberkraft reglementierte. Das Herzogtum Louisiana machte viel Lärm um nichts und erschuf derweil dutzendweise Freaks: Männer mit zentimeterlangen Rückenstacheln, Frauen, deren Finger Säure verspritzten, Wesen, die früher mal menschlich gewesen waren und nun nur noch aus einem Gewirr aus Fangzähnen und Krallen bestanden.
Allerdings zahlte man für magische Modifikationen einen hohen Preis. Manche Agenten büßten ihre Menschlichkeit vollends ein, andere klammerten sich an die Reste, doch alle sonderten ihre eigene Duftmarke unnatürlicher Magie ab. Und wenn man empfänglich war für Magie, wurde man nach dem Erstkontakt schwer krank. Kaldar hatte das am eigenen Leib erfahren und legte auf eine Wiederholung keinen Wert.
Erwin straffte sich. »Die Ägypter glauben, dass die Hand den Diebstahl des Gegenstands und die Übergabe in Adrianglia in die Wege geleitet hat, wo allerdings offenbar beide Seiten das Nachsehen hatten. Ihr Flugdrache wartet. Mit ein bisschen Glück und gutem Wind müssten Sie in einer Stunde in Adrianglia sein. Ich nehme an, wenn Sie sich erst mal umgesehen haben, können Sie besser einschätzen, was Sie brauchen. Wenden Sie sich an das Innenministerium, dort bekommen Sie alles, was Sie anfordern. Dieser Auftrag besitzt höchste Priorität. Wenn Sie in Gefangenschaft geraten, wird Adrianglia abstreiten, jemals etwas von Ihnen oder Ihrem Einsatz gewusst zu haben.«
»Wenn das mal kein Schuss in den Ofen wird.«
Erwin gestattete sich den Anflug eines Lächelns. »Bei mir ist jeder Schuss ein Treffer, Kaldar.«
Ha! »Und um was für einen Apparat handelt es sich?«, fragte Kaldar.
Erwin wölbte die Brauen. »Jetzt wird’s interessant.«
Kaldar musterte das von Leuchtfarbe eingefasste und einem Dutzend Hilfssheriffs bewachte Trümmerfeld. Was da vor ihm lag, waren die Überreste der Center Plaza, einer kreisrunden Freifläche, die bis zu diesem Morgen mit großen Quadern gepflastert gewesen war. Die Quader waren wie Speichen sternförmig von dem großen, runden Brunnen in Gestalt eines aus einem Wasserbecken springenden Delfinpaars in der Mitte ausgegangen. Auf dem Weg zum Tatort hatte er sich eine Touristenbroschüre besorgt, die eine hübsche Abbildung des Brunnens zeigte.
Jetzt war er zerstört. Nicht bloß gesprengt, sondern zerschmettert, als hätte die Explosion das Innere der Delfine nach außen gekehrt. Da ihm die Zerstörung des Brunnens nicht reichte, hatte der Täter die Steinquader ringsum aus dem Boden gerissen und über den gesamten Platz verstreut. In der Broschüre stand,
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