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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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der ihm mit ruhigen Augen zugehört hatte, winkte ab, was Kornitzer ungemein beruhigte. Schließlich sagte er milde lächelnd: Da hat sich mein Freund in Hamburg auf seinem langweiligen Beamtenposten etwas Schönes ausgedacht, eine Art von Spionageroman, bei dem er der Autor ist, und Sie und ich, wir sind handelnde Figuren, die nicht genau wissen, mit welchen Folgen und Wirkungen wir handeln. Und aus welchen Gründen, fügte Kornitzer hinzu. Und damit war das Thema Patente vom Tisch, das ihm Angst gemacht hatte, Angstschweiß, seit er im kubanischen Konsulat in Hamburg gewesen war. Es wurde einfach nicht mehr darüber gesprochen. Vielleicht hatte der Konsul sich in den Mittelpunkt einer Drehscheibe versetzt, rotiert, rotiert in seiner Phantasie, bis er schwindlig wurde, und seine potentiellen Mitspieler, die ruhig geblieben waren, waren gleichzeitig aus dem Spiel. AUS. Kornitzer konnte keinem Menschen sagen, wie dankbar er für diese Entwicklung war, und wenn er später dachte: Dieser Kelch, dieser Abgrund von Landesverrat, ist an Claire und mir vorübergegangen, wollte er ganz schnell etwas anderes denken, und sei es auch nur an den nächsten Schritt in einem minderen Routine-Prozeß, bei dem die Zeugen der Verteidigung benannt und pünktlich (!) einbestellt werden mußten.
    Die Auferstehung des Fleisches. Das Fleisch revoltiert nicht, das Fleisch sehnt sich, dehnt sich. Das Fleisch nimmt in der sengenden Hitze eine andere Farbe an, das europäische Fleisch rötet sich, wie entzündet, es wird heiß, schmerzt, bildet Blasen und Pusteln, die sich öffnen wie Blüten, dann schält sich die verbrannte Haut ab, und die Schicht darunter rötet sich von neuem, und dann bräunt sie auch und schmerzt nicht mehr. Die Emigranten betrachten sinnend die Haut der Kubaner, nein, nicht die Haut, die vollkommen verschiedenen Häute, porenreiche Haut, samtweiche Haut, nachtschwarze Haut, kaffeebraune Haut, mokkafarbene Haut, Zimthaut, Nougathaut, rosafarbene Haut, helle Haut einer Dame, die durch einen großen Hut geschützt wird. Und es gab Männer mit blank rasierten Schädeln, so braun wie ein Tabakblatt. Gesichter, von der Sonne geschlagen, gedörrt. Und es gab Chinesen, die einen Gesichtsschnitt wie Afrikaner hatten, und es gab tiefschwarze Leute, die eine Feingliedrigkeit und einen Gesichtsschnitt wie Chinesen hatten. (Kuba hatte 1848/1849 Kantonchinesen und chinesische Kulis als Arbeitssklaven ins Land geholt. Man nahm an, daß es 150.000 bis 250.000 waren, eine unvorstellbar große Zahl.)
    Dem Neuankömmling folgte gerne ein Pulk von jungen Streunern. Gab man ihnen ein paar Centavos, wurde einem als
americano
gedankt, was eine hohe Ehrung war, gab man ihnen nichts, war man ein
polaco
, was eine große Beleidigung war. Auf seinem täglichen Weg zur Hilfsorganisation
Joint
, der auch ratlosen neuen Emigranten mit Zuwendungen half, wenn jemand sein letztes Geld für sein Landungs-Depot ausgegeben hatte, sah Kornitzer täglich drei Brüder, der älteste war vielleicht zehn Jahre alt, der zweite vielleicht sieben, man sah, daß ihm die Milchzähne ausgefallen waren, wenn er lachte, und der kleinste, der meistens vom ältesten auf dem Rücken getragen wurde, war vielleicht zweieinhalb. Er sah die Brüder an mit einer freudigen Neugier. Sie bettelten nicht, es schien unter ihrer Würde zu sein. Nie sah er ihre Eltern, aber das schien kein Makel zu sein, die Brüder hatten zu tun, waren geschäftig, eine autonome, kleine und würdevolle Gemeinschaft. Sie sammelten Papier, und keine öffentliche Hand, kein Sozialarbeiter kümmerte sich um sie. (Doch, sie mußten abends in den Schoß einer Familie zurückkehren, eine Großmutter, ein Onkel, eine ältere Kusine mußte da sein, ein fest vertäutes Familienband, wenn es auch unsichtbar blieb.) Und sie waren höflich dem Mann gegenüber, dem sie täglich begegneten, ja, nun kannte man sich, also mußte sich auch Kornitzer eine respektvolle Begrüßung für das Bruderrudel ausdenken, die täglich wiederholbar war. Der älteste der Brüder war ziemlich dunkelhäutig, der mittlere heller und der kleinste hatte dichtes, lockiges, haselnußfarbenes Haar, und seine Haut war heller als Haselnüsse, fast walnußfarben, aber das tat der Eintracht der Kinder keinen Abbruch. Der größte trug den kleinen, der mittlere trug einen Sack, in dem sie Papier sammelten, auch winzige Fetzchen Bonbonpapier, nicht nur Zeitungen. Und Kornitzer staunte sie an mit Entdeckungsfreude (und gleichzeitig sehnte er

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