Landgericht
Mai 1939 hatte Kuba seine Einwanderungspolitik plötzlich geändert. Einreiseerlaubnisse und Visa, die vor dem 5. Mai 1939 ausgestellt worden waren, wurden rückwirkend für ungültig erklärt. Der Chef der kubanischen Einwanderungsbehörde, Manuel Benítez Gonzáles, war in Verdacht geraten, mit illegalen Einwanderungszertifikaten zu handeln. Er verkaufte solche Papiere für 150 Dollar und mehr, nach US-amerikanischen Schätzungen hatte er mit Gaunereien ein Vermögen von 500.000 bis 1 Million US-Dollar angehäuft. Das ging zu weit, auch wenn er ein Protegé des Generalstabschefs Fulgencio Batista war. Die Passagiere waren entsetzt und verstört und alarmierten das
Joint Distribution Committee
in New York. Eine Sozialfürsorgerin wurde entsandt zur Beruhigung der Flüchtlinge und der Anwalt Lawrence Berenson, er war Präsident der amerikanisch-kubanischen Handelskammer in New York, außerdem ein Freund von Batista. Aber Batista, ein populistischer Bonaparte, hatte auch Gegner, so war es nicht sicher, ob ein anderer Unterhändler, ein neutraler ohne kubanische Verbindungen, nicht mehr erreicht hätte. Lawrence Berenson war ermächtigt, der kubanischen Regierung 125.000 Dollar als Garantie für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge zu bieten, gleichzeitig bürgte Berenson für die Einhaltung des Arbeitsverbots. Doch das genügte nicht, Mittelsmänner des Präsidenten verlangten mit gezogener Pistole 500.000 Dollar bei einem Überfall nach Wildwest-Manier. Batista hingegen ließ übermitteln, er wolle für „nur“ 450.000 Dollar die Weiterfahrt der
St. Louis
zur Ausschiffung auf der Insel Pinos, südlich von Kuba, vermitteln. Es stellte sich aber rasch heraus, daß Pinos ein Konzentrationslager war, ein schöner Deal war das, der dem
Joint
vorgeschlagen wurde. Zusätzlich zu den 450.000 Dollar ließ Batista noch weitere 150.000 Dollar verlangen, als kleine Wahlkampfspende für den kommenden Präsidentschaftswahlkampf, bei dem er kandidieren wollte. Der Mittelsmann schlug dann noch einmal 50.000 Dollar auf, als Gebühr in eigener Sache. Kuba war wie ein Pfund Butter, an jeder Hand blieb etwas kleben.
Kaum war der Vorschlag auf dem Tisch, widerrief ihn Batista, und das Schachern ging von neuem los. Die Flüchtlinge gerieten zwischen alle Parteien, Geiseln in einem Poker um Geld und Einfluß, einige wurden hysterisch, andere versanken in einer abgrundtiefen Verzweiflung, die keine Worte mehr kannte. Eine ganze Woche wurde verhandelt. Der Präsident forderte schließlich eine Million Dollar, zahlbar innerhalb von 48 Stunden, und sicherte als Gegenleistung die Unterbringung der Flüchtlinge im Lager Pinos zu. So konnte man nicht mehr verhandeln, man hätte schreiend, beschämt, angewidert, zornbebend den Raum, die Insel verlassen müssen, doch das ist nicht die Art diplomatischer Unterhändler; sie haben eine komplexe Erziehung genossen. Der
Joint
erhöhte sein Angebot auf 443.000 Dollar (oder 500 Dollar auf den Kopf jedes Flüchtlings). Ohne daß Berenson noch einmal mit den Mittelsmännern hätte sprechen können, zog der Präsident sein so großzügiges Angebot wegen Fristüberschreitung zurück. Unter der Hand erfuhr man, die kubanischen Politiker hätten zusätzlich zu der gewaltigen Summe auch noch mindestens 350.000 Dollar Bestechungsgeld erwartet. Es war ein schmutziges und ekelhaftes Geschäft mit der Ware Mensch.
In Nazi-Deutschland triumphierte man. Genau das sollte bewiesen werden: Kein Land der westlichen Hemisphäre wollte die Fracht der verängstigten Menschen aufnehmen, und auch deshalb waren sechs Gestapo-Leute als Aufpasser und Verhinderer auf dem Schiff. Die
St. Louis
nahm am 2. Juni Kurs auf Florida und Miami. Es gelang einigen Passagieren, ein Hilfs-Telegramm an Präsident Roosevelt zu schicken. Eine Antwort erhielten sie nicht. Die USA weigerten sich, nur einen einzigen Passagier an Land zu lassen. Hapag-Lloyd orderte das Schiff nach Hamburg zurück. Die Enttäuschung über die USA, die sich den Ausgesetzten gegenüber taub stellten, obwohl sie ordnungsgemäße Quotennummern hatten, war riesengroß.
In Kanada hatten Prominente eine Petition für die Flüchtlinge beim Premierminister William Lyon Mackenzie King eingereicht. Auch das war eine vergebliche Mühe. Er folgte strikt der Devise des Direktors des Einwanderungsbüros Frederick Charles Blair:
None is to many
. Kein Jude ist schon einer zu viel. Die 150 Dollar, die jeder Flüchtling auf dem Schiff für das dann annullierte Landungs-Permit
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