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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Feierstimmung, auch eine Flasche Rum war auf dem Tisch, den die disziplinierten politischen Emigranten sonst nicht tranken. Jemand, später dachte er, es muß Goldenberg gewesen sein, sagte, als er kam: Stalingrad ist gefallen. Nun geht es abwärts, das ist der Anfang des Kriegsendes. Lisa hatte herausgefunden, daß – obwohl alle Brücken in das feindliche Ausland abgebrochen waren – in Todesfällen oder bei einer Geburt das Rote Kreuz Telegramme mit Rückantwort nach Europa vermittelte. Das kam natürlich nicht in Frage. Im Gegenteil: Lisas unschuldige Erkenntnis war Kornitzer an diesem Tag vollkommen zuwider.
    Charidad kam nach Havanna zurück, sie war ernst und gesammelt, ihr Haar hatte sie wachsen lassen, so daß jetzt der Nacken bedeckt war. Als Kornitzer nach Amanda fragte – wie sie aussehe, wie sie trinke, ob sie ihr gliche, lächelnd fragte er, mit leiser Stimme, all das sprudelte aus ihm hervor –, war Charidad einsilbig, als wolle sie sich, notgedrungen, nicht allzu sehr an das Kind binden, als wolle sie sich nicht wirklich daran erinnern, was sie erlebt (durchgemacht?) hatte. Oder wollte sie ihn nicht daran teilnehmen lassen? Als er nachfragte, ob sie ihrer Kusine erzählt hatte, warum sie die Kleine Amanda nennen wollte, nickte sie, doch ja, das habe sie gesagt: Es sei sein Wunsch. Und als Kornitzer dann endlich fragte, was er für sein kleines Mädchen tun könne, antwortete sie: Nichts, nichts, Richard, du hast ihr deine helle Haut gegeben und ein bißchen Europa, das genügt. Und dabei hatte sie ein Glimmern in den Augen. Kornitzer meinte keinesfalls, daß es genüge, aber er konnte nichts erzwingen. Charidad stürzte sich wieder mit Feuereifer in die Arbeit, ihre Schüler hatten viel verlernt in ihrer Abwesenheit, während ihrer undefinierten Krankheit, über die niemand sprach, behauptete sie selbstbewußt. Sie ging „in ihrer Arbeit auf“, wie man so sagt, wenn etwas anderes nicht mehr so gut geht, kam seltener in Máximos Hotel, entfernte sich, entfernte sich auf leisen Sohlen, schneckenleise, langsam, zuerst merkte Kornitzer es kaum. Erst als er sie wirklich verloren hatte. Und sie hatte ihre Leichtigkeit verloren. Auch das war ein Versäumnis.
    Nach fünf Jahren im Land bekamen die Flüchtlinge das Angebot, die kubanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das mußte sorgsam überlegt werden. Einen Paß zu haben, war eine gute Sache. Er gab Sicherheit. Aber käme man mit einem kubanischen Paß zurück nach Deutschland? Wie würde man angesehen? Oder könnte Claire, wenn er sie wiederfände, als deutsche Staatsbürgerin, als eine Angehörige der Feindesmacht nach dem Krieg nach Kuba kommen? Unter welchen Entbehrungen für sie, für ihn, einen kubanischen Staatsbürger mit Verpflichtungen? Auch Lisa und Hans Fittko diskutieren, und schließlich schwingt sich Hans zu einer wohlgesetzten Rede auf: Ein Paß ist ein Stück, das mir Protektion gibt, die das deutsche Volk nicht hat. Wir Antifaschisten können in der zukünftigen Entwicklung Deutschlands nur eine Rolle spielen als Deutsche unter Deutschen. Nicht mit dem Paß der Siegermächte. (Daß später Emigranten nicht nur mit einem Paß der Siegermächte, sondern auch in einer Uniform der Siegermächte nach Deutschland zurückkehrten und Einfluß nahmen, hätte ihm nicht gefallen. Da berührte sich seine Ehrpusseligkeit auf merkwürdige Weise mit den Ängsten und Hysterien im darniederliegenden Deutschland.)
    Hans Fittkos Rede saß, sie überzeugte, keiner der Freunde im Máximos Hotel nahm die kubanische Staatsbürgerschaft an, das Offene, die Unsicherheit war ihnen zur zweiten Haut geworden. Am 30. Juni 1944 berichtete der „Aufbau“ grundseriös über Kuba –
nach der Wahl
. Hatte Lamm oder Goldenberg den Artikel geschrieben oder in New York lanciert? So sah es aus.
Reaktionäre Bestrebungen und fremdenfeindliche Propaganda
seien im Wahlkampf bemerkt worden.
Um so erfreulicher ist das Bekenntnis der neuen Regierung zur Demokratie auf allen Gebieten, einschl. dem der Einwanderung
. Der Führer der Cubanischen Revolutionären Partei (Auténticos), Senator Dr. Eduardo R. Chibás, habe nach der Wahl der Presse eine öffentliche Erklärung abgegeben unter dem Stichwort
Kein Hass, keine Animosität gegen irgendjemand
. Das habe sich wohl zu liberal, zu leise angehört, man mußte wachsam sein, das las man zwischen den Zeilen. Aber dann hieß es weiter:
Einleitend wird die Gleichberechtigung der cubanischen Frauen, die sich im Wahlergebnis in

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