Landgericht
daß sie ihm erlaubt hatte, von sich zu erzählen, kam sich jetzt wie ein Aufschneider vor, der ihr gemeinsames zukünftiges Leben mit stumpfer Schere abschnitt. Das frühere Glück, die frühere Bindung ermöglichte keine entsprechende neue. Es gab keinen Kontakt nach Deutschland, er war verheiratet, blieb es, er liebte Claire, als er sie lieben konnte (in der Anwesenheit), und er liebte Charidad jetzt und weiter, so kläglich, zierlich, schutzbefohlen wie sie war, und was er als die karamellbonbonfarbene Haut kennengelernt hatte und die Empfindungen darunter, schmolz, auch etwas in ihm wurde flüssig und gleichzeitig unbeweglich. Er war ein Gefangener, indem er in ein freies Land gekommen war und sich wieder band. Und so saßen sie viele Abende und Nächte, Charidad immer mit angezogenen nackten Beinen, umschlungen von ihren Armen, sie duldete es, daß Richard sie, ihren Rücken, das oberste Wirbelknöchelchen umfaßte, aber sie war in unfaßbarer Traurigkeit befangen, hörte ihn manchmal kaum, wenn er begütigend auf sie einsprach. Oder war sein Spanisch plötzlich in der Angst, Charidad und das gemeinsame Kind zu verlieren, so unsicher? Was er ihr jetzt gewiß nicht zumuten konnte, war seine Traurigkeit, zwei Kinder in England verloren zu haben. Dieses neue, ungeborene Kind war kein Ersatz für Georg und Selma, aber der Richter, der ein auf unsicherem Gebiet herumrudernder Rechtskonsulent geworden war, kämpfte für das Kind, die Frucht im Körper der mageren Lehrerin, die immer noch schwer, nun vielleicht schon schwerer, an den Packen der Schülerhefte trug.
Einmal platzte es Charidad heraus: Weißt du, ich bin keine Sängerin, ich bin keine Schauspielerin, von einer Leinwand herabgestiegen, die für jede Sensation gut ist. Ich stehe täglich vor kleinen Jungen, sie dampfen, sie schwitzen, und sie denken auch. Und sehe ihren Direktor, und er sieht mich auch. Eine schwangere Lehrerin, eine Lehrerin mit einem unehelichen Kind gibt es nicht. Nicht in der Republik Kuba, und das klang auch selbstgewiß. Sie richtete sich auf. Auch Kornitzer, dessen Rädchen im Kopf ratterten, überlegte, ob er jemals von einer schwangeren Lehrerin in Berlin gehört hatte, einer Lehrerin mit einem unehelichen Kind, das hatte er nicht. Und indem er schwieg, sagte er doch sehr viel über das Land, aus dem er geflüchtet war. Es war keines, das einem Paar wie Charidad und ihm freundlich gesonnen gewesen wäre, das hatte sie auch ohne geographische Nachschlagewerke schnell verstanden. Die bemitleidenswerten Frauen in Deutschland hatten wohl ähnlich vorsorglich, nachsorglich gehandelt, wie Charidad es nun tun mußte, aber was hatten die entsprechenden Väter in Berlin, in die Kornitzer sich nun in Havanna in seiner eigenen prekären Situation hineindenken, hineinfühlen konnte, gedacht? Waren sie überhaupt zum Denken aufgefordert? Taten sie es freiwillig oder nur gezwungen von ihren Geliebten, die sich vielleicht schon durch diese Unsicherheit verstört fühlten, flüchtig wie Wild, und sich längst abgewandt hatten von diesen unsicheren Kandidaten, die ihnen keine Hilfe waren? Nein, ein solcher wollte Kornitzer nicht sein. Er liebte Charidad, und sie „rührte“ ihn gleichzeitig, und daß er sie und sich in einen unlösbaren Konflikt gebracht hatte, schmerzte.
Und dann traf er sie wieder, fand sie so unendlich zart und tapfer zugleich, wie sie schluchzte, kaum nachdem sie zehn Sätze miteinander gesprochen hatten, sie schneuzte sich, nicht in „das Taschentuch“, das ja schon historisch war, sondern in irgendeines, das sich gerade fand. Kornitzer probierte mit ihr Wörter aus, die wie „Engelmacherin“ klangen, er fragte auch Lisa, auch Emma Kann, ob ihnen ein solcher Begriff und die entsprechende praktische Tätigkeit zu Ohren gekommen waren, aber beide wußten nicht, was er wissen wollte (oder ließen sie ihn auflaufen?), und Charidad, der er auch die symbolische Bedeutung des Begriffs klarmachen wollte, sprach plötzlich etwas wirr von der Jungfrau Maria und Engeln, Erzengeln, symbolischen Helfern, die vielleicht eine schwierige Schwangerschaft begleiteten. Kurzum: Unter der kurzhaarigen, nüchternen und leidenschaftlichen Gegenwärtigkeit der Lehrerin gab es einen Untergrund von Gläubigkeit, Formelhaftigkeit, den sie vielleicht gerade jetzt aktiviert hatte, im Rücken des hilflosen Vaters ihres Kindes. Oder: der sich selbsttätig in ihrer Notsituation aufrichtete. Dann wischte sie in ihrem Gesicht herum und sagte: Richard,
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