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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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für die USA. Ihr ausgezeichnetes Englisch gab den Ausschlag, und sie probierte sich schon in englischsprachigen Gedichten.
    Und so stob die kleine Gemeinschaft auseinander, der
Joint
verschickte Listen, man trug sich ein, fieberhaft wurden Angehörige gesucht. Das Hotel leerte sich Monat für Monat mehr, Máximo schwankte zwischen Glückwünschen, Verabschiedungsreden und Händeringen, neue Gäste zogen ein, die alten wurden einsamer, einsilbiger, oder sie sprachen schon von früher, und dann verabschiedete sich Richard auch von den letzten Freunden und suchte noch einmal Charidad auf, um danke zu sagen, danke für alles, das war etwas weitläufig und sehr ungenau, aber mehr war auch nicht zu sagen, und ein konventionelles „Auf Wiedersehen“ war nicht zu erwarten. Sie gab ihm eine Photographie von Amanda, die keck in die Kamera lächelte, auf strammen Beinchen, an der Hand einer erwachsenen Person, die abgeschnitten war auf der Photographie. Kornitzer hoffte, wann immer er das Bild ansah, es sei Charidads Hand. Und er wollte instinktiv die andere Hand des kleinen Mädchens in seine nehmen, in das Bild handelnd eingreifen, so daß in seiner Phantasie doch noch eine Art von Familienphoto entstand.
    Chibás, auf den sich viele Hoffnungen gerichtete hatten, führte 1947 den Bruch mit seiner Partei herbei und gründete die Orthodoxe Partei (Ortodoxos). 1951, kurz vor Beginn des neuen Wahlkampfes, unternahm er am Ende einer Rundfunk-Sendung einen öffentlichen Selbstmordversuch, an dessen Folgen er starb. Das registrierte niemand mehr von den deutschen Emigranten. Und Goldenberg, der geblieben war voller Hoffnungen, mußte es mitteilen in die USA und nach Europa, eine unangenehme, eine traurige Pflicht. Batista sprang wieder in die Bresche, um das System der Korruption, des Schlendrians zu erneuern.
    So war Kuba in Wirklichkeit eine Inkubationszeit gewesen, aber für was? Für den Zweifel, für die Sehnsucht, für das Überbordende, das später eingefangen werden mußte wie ein wildes Pferd. Nein, es war sehr, sehr schwer, über Kuba zu sprechen und weder zu weinen oder ins Schwärmen zu geraten, aber auch nicht in ein maßloses Geschimpfe. Und so versank Kuba, diese lebhafte, laute, von Musik getränkte Insel, vollkommen im Schweigen, das war sehr ungerecht, aber auch gerechtfertigt. Und wie sollte man sich selbst, infiziert, karamellisiert von der Süße der Erfahrung, rechtfertigen? Es gab keine Gewißheit, nur ein Tasten, ein Gehen und Gegängeltwerden von Tag zu Tag, und die Tage längten sich und versengten in der Hitze, und der Körper, durch den die Tage gingen und wiederkamen, versank in einer Passivität, die wohltuend und gleichzeitig ernüchternd war. Mehr war dazu nicht zu sagen, es sei denn, man wäre päpstlicher als der Papst.
    Charidad war das nicht, und die Mitbewohner in Máximos Hotel, die manches sahen und übersahen und selbst nicht immer gesehen werden wollten, oder man sah ihr Häufchen Unglück wie unter einer Lupe, waren das auch nicht gewesen. Und Charidads Kusine (oder die ganze Familie, das wußte Kornitzer nicht) deckte einen Mantel des Schweigens über manches, was nicht im Hellen aufkeimen sollte, schloß sich wie eine Membran über der Wunde, dafür mußte er dankbar sein, obwohl er eigentlich revoltierte, aber die Frau, ja, sie war eine Frau geworden durch die leidvolle Erfahrung, legte ihm eine Hand auf den Arm, die Härchen richteten sich auf wie beim ersten Mal, als sie ihn berührt hatte. Bei diesem letzten Besuch beruhigte sie ihn, ja, das hatte Claire auch häufig getan, und so verschieden die protestantische Preußin von der Kubanerin war, deren Leben er so grundsätzlich durcheinandergewirbelt hatte, darin waren sie sich auf seltsame Weise ähnlich: sie zähmten ihn, sie wiesen ihn in eine Ordnung, der der Jurist (auch der Mann) schwer widersprechen konnte. Nein, Claire hätte keine Revision geduldet, und Charidad wußte nicht einmal genau, was das war. Gegen die Liebe gab es keine Rechtsmittel einzulegen, zumal wenn die Liebe vielleicht ohnehin ein Unrechtsmittel war, ein Mittel, Nähe herzustellen, Vertrauen, aber keinen Rechtszustand. Das hatten die Beteiligten gewußt und akzeptiert. Sie gezwungenermaßen und er sorgenvoll, schuldbewußt, glücklich zuerst und sehr unglücklich danach.

Krater und Schneisen
    Kornitzer dachte häufig noch an Kuba, besonders wenn es laut war im Landgericht. Plötzlich war dann die Erinnerung an eine Mulattin im Haus gegenüber in Havanna ganz

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