Landgericht
es wird eine Zeit geben, in der all das, was jetzt unmöglich ist, keine Rolle mehr spielen wird.
Dem hatte er nichts hinzuzufügen, und er war froh, daß Charidad nicht das Vage ihrer Situation beleuchtete, sondern historisch in eine Ferne hinein sprach, in der das Kind zu seinem Recht kam, und seine Eltern auch. Ihre Rede war etwas verhaspelt, nicht glanzvoll, nicht prophetisch. Es war eine tapfere Kleine-Lehrerin-Rede, die sich gewaschen hatte und in der heißen Luft stehenblieb.
Aber während sie heulte und während sie sich weite Hemden von Richard auslieh, in denen sie entzückend und komisch zugleich aussah, war sie nicht untätig. Sie schrieb Briefe, machte Tagesreisen zu Klöstern, Heimen und Krankenhäusern, und dann stellte sie ihn vor vollendete Tatsachen: Sie würde, wenn es „soweit war“, in den bergigen Osten der Insel fahren, in die Nähe der Kleinstadt, aus der sie stammte, dort gab es einen Ort, ein Haus, ein Krankenhaus, eine säuberliche Nonnenstation, in der sie das Kind zur Welt bringen wollte. Und in der Nähe hatte sie eine große Familie, die, „wenn etwas passierte“, ihr unter die Arme greifen würde, darunter eine Kusine, die schon drei Kinder hatte, mit der hatte sie gesprochen, und sie war mit ihr einig geworden. Wo drei sind, sagte sie mit dem vernünftigsten Augenaufschlag der Welt, ist schnell ein viertes da. Der Mann ihrer Kusine reiste viel auf Montage, und wenn er nicht reiste, schlief er viel. Mit anderen Worten: Er konnte etwas übersehen und war im Übersehen erfahren. Darüber hatten die beiden Frauen, die sich ja schon als kleine Mädchen gekannt hatten, herzlich gelacht. Charidad kam nicht gerade strahlend von der kleinen Reise zurück und lobte ihre Kusine über alle Maßen. Sie hatte ihr bedeutet: Bring doch dein Kindchen her, meine Kinder freuen sich über ein Geschwisterchen. Und mein Mann ist immer rücksichtsvoll und nett (haha), wenn ein Kleines im Haus ist. Und wenn die Umstände (deine Umstände) anders sind, nimmst du es wieder zu dir, und meine Kinder und ich hatten Freude mit dem Kleinen. Und dann kann man immer noch eine Erklärung finden; man kann nicht alles vorausplanen. Hör auf zu heulen, das hatte ihr die Kusine auch auf den Weg mitgegeben, und das hatte Charidad beeindruckt: Du hast studiert, du hast eine feine Stelle, und wie klug du wirkst, oh nein, wie klug du bist, und nun wirst du auch noch ein Kind haben, und einen Geliebten hast du auch. Ja, was denn noch? Und alles soll zusammen passen? Sieh mich an, sieh mich an, und sie schwenkte ihre breit gewordenen Hüften, von ihrem Mann, über den sie kein böses Wort gesagt hatte, sagte sie auch weiter gar nichts.
Die Kinderliebe, Zärtlichkeit, die die beiden, seit sie Fünf- oder Achtjährige waren, verband und die nie in Frage gestellt worden war, bewährte sich. Das Komplott war geschmiedet, oder sollte es Solidarität genannt werden? Und wo war der schmale Unterschied zwischen einem Betrug (Unterschiebung) und Hilfeleistung in einem Notfall? Der Richter, der ein minderer Rechtskonsulent geworden war, war nicht gefragt. Und Charidad war wirklich getröstet und beruhigt nach Havanna zurückgekommen. Von ihren Eltern sprach sie nicht, von anderen Verwandten auch nicht, aber von dieser Kusine, die ein Rettungsanker war. Was sollte Kornitzer gegen diesen Plan sagen? Alle Einwürfe gingen ins Leere, wie Steinchen, flach geworfen, zwei-, dreimal auf einer Wasserfläche auftupfen und dann auf Nimmerwiedersehen in der Tiefe versinken. Und als Kornitzer Charidad bat, ein wenig später gemeinsam in ihre Heimatstadt zu reisen, auch er wollte diese großzügige, breithüftige Kusine gerne kennenlernen und ihr danken, danken, winkte Charidad nur ab: Aber Richard, das genau würde doch Verdacht erregen, den ich zu erregen vermeiden muß. Ein groß gewachsener Mann, ein Emigrant, kommt mit der kleinen studierten Kusine, die jahrelang nicht im Städtchen war, weil sie Besseres in der Großstadt zu tun hatte, und nun zweimal kurz nacheinander. Ja, warum wohl? Das ist kontraproduktiv, sagte sie streng. Kornitzer freute es einerseits, daß es ihr besser ging, aber er war verletzt. Und traurig, ein drittes Mal Vater zu werden, nachdem er zwei Kinder verloren hatte, und gerade dieses Kind schon vor der Geburt verloren geben zu müssen. Und während Charidad beruhigter war und wieder gerne unterrichtete – dick und träge wurde sie eigentlich nicht –, so viel war zu tun, verlor er sich in einer Kümmernis, die er
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