Landgericht
klingt wie blanker Hohn:
Die dienstliche Beurteilung beschränkt sich auf die Feststellung, daß zeitweise Spannungen bestanden haben, und läßt die Frage offen, wer diese Spannungen verursacht und auf welcher Seite „vielleicht“ eine „persönliche Empfindlichkeit“ mitgespielt hat. Aus dieser Feststellung können deshalb keine Ihnen nachteiligen Schlußfolgerungen gezogen werden. Das gleiche gilt für den Hinweis auf Ihren Gesundheitszustand. Ebenso wenig läßt sich bestreiten, daß Sie in Ihrer äußeren Erscheinung „etwas massig“ wirken. Diese sachlich richtigen Feststellungen können Ihnen nicht zum Nachteil gereichen, da sie Tatsachen entsprechen, die von Ihnen nicht zu vertreten sind. Hiervon abgesehen sind Bemerkungen über den Gesundheitszustand und über die äußere Erscheinung eines Beamten als „dienstliche Urteile über seine Person“ anzusehen, so daß schon aus diesem Grunde eine vorherige Anhörung des Beamten nicht erforderlich ist. (§ 42 Abs. 1. BG)
.
Er verlangt jetzt häufiger Einsicht in seine Personalakte, er ist mißtrauisch, die doppelte Benutzung des Begriffs „nachteilig“ und „Nachteil“ ist verräterisch, er fühlt sich gedemütigt. Im Herbst macht er eine Fastenkur in der Buchinger Klinik am Bodensee, kaut langsam an trockenen Brötchen, die in feine Scheiben geschnitten worden und aufs Liebevollste mit Radieschenscheiben und Schnittlauch garniert sind. Er schlürft heiße Gemüsebrühen. Er sieht seine Mitfastenden, seine Mitgefangenen an, wie er sich heimlich sagt, man flaniert am Ufer des Bodensees, in Überlingen, und er denkt an Lindau, als wäre die erste Station nach seiner Emigration unendlich weit in einen Untergrund, in eine schöne, irritierende Fremdheit, die er kaum verstanden hat, gesunken. Er wird gemessen und gewogen, seine Herzprobleme werden ernst genommen und gleichzeitig in der milden Luft des Bodensees zerstäubt. Es sind dann nicht mehr seine Herzprobleme, sondern es sind Probleme, die er sich
gemacht hat
. Ja, vielleicht hat er sich selbst ganz und gar gemacht, seine Zerknirschung, seine Traurigkeit, seinen Zorn, man trinkt ein Kännchen blonden Tee aus gemischten Kräutern, man denkt nach, versenkt sich, und überall, wo man sich versenkt, lenkt, findet sich ein Kern des Wahren, Schönen, Guten, und wenn man in sich selbst hineingehorcht hat wie in eine Höhle, in der vielleicht ein Schatz verborgen ist, schmeckt auch das trockene Brötchen viel besser. Es ist eine Gabe. Es ist ein Mittel zur Erkenntnis, ein Mittel zur Strukturierung der Genußfähigkeit, und wo wären wir, wenn eine Erkenntnis, und sei sie teuer erkauft an einem schönen Ort, an dem gefastet wird und das Darben mit Blumen bekränzt wird, sich nicht durchsetzte. Ja, Kornitzer, fastend, schweigend, Wasser und hellgelben Tee trinkend, soll zu sich kommen und sein Leben in die Hand nehmen. Das tun auch die Unternehmer, die Studiendirektoren, auch der Frankfurter Verleger, die mit ihm am Frühstückstisch an ihren trockenen Brötchen kauen. Aber was ihm aus der Hand geschlagen worden ist, soll keine Rolle spielen. Er sei es, der seinen Körper regiere, und sein wachsendes Gesundheitsbewußtsein regiere ihn, sagt man Kornitzer, jedenfalls sagt das eine sympathische junge Frau, die Diätassistentin, die für ihn verantwortlich ist, und sie strafft die Zügel. Die Pferde, die Pferde, sie dampfen. Daß er sie verloren hat, daß sie Schindmähren geworden sind, nun ja, nun ja, das soll er bitte nicht so tragisch nehmen. Leberwickel werden ihm empfohlen, junge Damen, die Krankenschwestern genannt werden, aber doch eher eine Art von milden Hostessen sind, legen sie an. Ob die Maßnahmen wohltuend sind, kann Kornitzer nicht wirklich sagen. Wohltuend ist, auf das Haar der Helferinnen zu schauen und die Hände zu disziplinieren, damit sie nicht in das immer frisch gewaschene, in feinen Wellen auf die Schulter fallende Haar greifen, Haar wie Seide.
Die Kur ist eine Kur der Selbstfindung, bei der er unterhalb der schmelzenden Fettschicht ein paar Empfindungen wiederentdeckt, die er verloren geglaubt hatte: Neugier, Schaulust. Er schwimmt auch einige Male im See, doch dann ist es plötzlich zu kalt für diese Ausflüge, also wieder Leberwickel, blonde Tees, die nach Wald- und Wiesenkräutern duften, was wirklich darin ist, erfährt er nicht, es ist eine Hausmischung.
Während er am See spazierengeht und sich manchmal eine Buttercremetorte in der Theke eines Cafés vorstellt, an der er
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