Landgericht
Devisen-Schieber, als chronische Steuerflüchtlinge gebrandmarkt, also in die Nähe der Berufsverbrecher aus Charakterneigung gerückt und sie noch nach ihrer Ausreise jahrelang beobachten und bespitzeln lassen. (Auch in Havanna hatte es eine NSDAP-Auslandsorganisation gegeben, nach außen hin hatten ihre Mitglieder Eintöpfe propagiert, deutsches Bier und deutsches Liedgut, in Wirklichkeit hatten sie die jüdischen Emigranten bespitzelt und denunziert, Zuträger, Lakaien, Speichellecker aus kaltem Interesse.)
Das Vermögen dem deutschen Reich verfallen
. Das war die Formel auf den Ausbürgerungspapieren, der Emigrant verfiel, verfiel, erbleichte vor Sorge um sein Leben, und sein Vermögen verfiel, verfiel, bis der Rest dem deutschen Reiche
verfallen
war. Hatte Professor Kranz im großen Verhandlungssaal des Landgerichts Vorstellungen über die Untragbarkeit bestimmter Bürger auf freiem Fuß geäußert, gleich welcher Meinung und Parteiung? Auf eine rasche Wegsperrung von Kommunisten, Homosexuellen, Fürsorgezöglingen gedrungen, vielleicht auch die von pathologisch renitenten Mädchen, wobei sich Kornitzer ja zweifellos an das Unglück mit Selmas Aufenthalt in Deutschland erinnern mußte? Es ist nicht auszudenken, es wurde nicht überliefert, was Professor Kranz wirklich gesagt hat, Peinigendes, in eine Vergangenheit Weisendes gewiß, an der er seinen ganz persönlichen Anteil hatte. Und nur Kornitzers drastische physische Reaktion ist überliefert wie ihr Schatten. Es kommt jemand heran!, sagte sich Kornitzer, die Einschläge kommen näher, sagte er sich, und ich bin ihnen ausgesetzt. Sein Arzt bescheinigt ihm Herzleistungsschwäche, Durchblutungsstörungen, Unsicherheit beim Gehen, Schwanken. Ja, die Welt schwankt unter seinen Füßen, oder schwanken seine Füße auf dem Grund, er hat kein wirkliches Empfinden dafür. Die Krankschreibung wird zu seiner Personalakte genommen.
Kornitzer vermeidet daraufhin das Gehen, kauft sich ein Auto, mit dem er zum Landgericht fährt, das macht das Gehen nicht sicherer, aber die Unsicherheit ist nicht mehr so offensichtlich. Im Auto fühlt er sich gepanzert. Er klagt auch über die verpestete Luft in Mainz-Mombach, die
seiner Gesundheit abträglich
sei. Die Waggonfabrik arbeitet, die Produktion der Glasfabrik läuft auf Hochtouren, so viel ist in Scherben gegangen, will verglast, eingekittet werden. Der Schuhwichsefabrik entweichen scharfe Dämpfe, die Essigfabrik produziert sauren Gestank, im Hafen werden polternd Güter verladen, die Schleppschiffe dünsten Dieselöl aus, Kohlen werden aufgeschippt in einer schwarzen Staubwolke. Das Wort „Emission“ ist noch nicht erfunden; eigentlich, das sagt Kornitzer nicht, ist er in einem Dreckloch gelandet, aber gebunden an das Haus, das Opfer-des-Faschismus-Haus. Würde er nicht darin wohnen, er würde versuchen, mit leichtem Gepäck umzuziehen, aber vielleicht dringt die Verpestung der Luft überallhin in der Stadt.
Stinkt es in Ihrem Stadtteil auch so?, fragt er einen seiner Beisitzer, den Assessor Nell. Der sieht ihn verständnislos an. Er kommt mit dem Bummelzug täglich aus dem Weinort Nackenheim, er ist bei einer Tante untergekrochen, weil er keine Wohnung gefunden hat. Da stinkt es nicht, nur wenn die Winzer Kupfervitriol verspritzen. Der ganze Ort liegt dann in einer giftigen Wolke, sagt der Beisitzer. Und natürlich im Herbst, wenn der Wein gekeltert wird. Aber das ist eben so.
Kornitzer ist dann lieber still, er weiß, daß er privilegiert ist mit dem Schindelhaus. Wohnungszwangswirtschaft ist das Machtwort, an dem die Wünsche zerschellen. Ja, Kornitzer hat es eigentlich gut getroffen, das Haus ist ein Panzer, ein Wiedergutmachungspanzer, er hält ihn fern von den Problemen anderer Bürger, er isoliert ihn, schützt ihn und erregt auch Neid. Ach, könnte man das Schindelhaus doch am Schornstein und an den oberen Fensterläden packen und irgendwo auf die Rheinhöhen stellen, heraus aus dem Industriemief, dem Essig- und Schuhwichsegestank, dem arbeitsamen Ameisengewimmel, in eine Einsamkeit, denkt er, schon denkunfähig vor Müdigkeit in einer unbestimmten Sehnsucht. Es ist eher ein nutzloses, aber nicht gegenstandsloses Seufzen, ein ungefährer Gedanke, der nicht vom Fleck kommt und sich wie ein Rohrkrepierer in den Boden bohrt. Eigentlich unwürdig für einen Landgerichtsdirektor, sagt er sich selbst. Aber seine Empfindlichkeit war mit den Jahren größer geworden, er war unleidlicher und unduldsamer. Er erforscht, was
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