Landgericht
veröffentlicht wird, ist nicht wirksam, und dieser Unwirksamkeit kann man überaus wirksam nachhelfen.
Quod non est in actis, non est in mundo
, sagen die klassisch gebildeten Juristen. Was nicht in den Akten steht, das gibt’s auch nicht. Und da stand Beck wie eine deutsche Eiche im Besprechungszimmer des Landgerichtspräsidenten, ohne Abweichung ins Grandiose oder in eine zarte Unauffälligkeit. Ihn gab’s zweifellos, Landgerichtsrat Beck, zurückgesetzt und nicht zurückgesetzt, er zwinkerte und zwinkerte und sagte gar nichts, und das genügte fürs Erste.
Der älteste unter den Kollegen war Dr. Walter Buch, ein vierschrötiger Mann mit vielen geplatzten Äderchen auf den Wangen und der Nase. Er war schweigsam, wachsam, schien sich zu orientieren, lauschte in die Runde hinein, als wolle er nur reagieren, und das war vielleicht auch gar nicht falsch aus seiner Sicht. Er war über fünfzig, 1929 zum ersten Mal planmäßig als Amtsgerichtsrat angestellt worden und am 1. 11. 1933 SA-Sturmmann geworden. (Mußte er das, wollte er das als ein 35jähriger Jurist, wollte er wirklich herummarschieren, Wehrsport treiben, die Straße frei, die Reihen fest geschlossen, erinnerte er sich nicht mehr, 13 Jahre später?) Ja, man mußte die Formulare persönlich ausfüllen, Belege zur Mitgliedschaft in den Gliedorganisationen der NSDAP waren nicht erforderlich bei den Entnazifizierungsverfahren, denn es wurde vorausgesetzt, daß die Mitglieder die Zeugnisse ihrer Mitgliedschaft längst vernichtet hatten. Im Zweifelsfall waren die Belege immer einem
Terrorangriff
zum Opfer gefallen. Und so waren die zu Entnazifizierenden selbst Opfer geworden, jedenfalls fühlten sie sich so, Opfer ihrer Biographie, ihres Karrieregeistes, alles ging weiter, eine Rolltreppe ohne Ende oder eine, deren Ende nicht abzusehen war, wenn man sich taub und blind stellte. Dr. Buch war 1934 vom Amtsgericht zum Landgericht gewechselt und aufgestiegen. In seiner damaligen Beurteilung stand:
Fähigkeiten, Begabungen und Leistungen von Landgerichtsrat Buch liegen erheblich über dem Durchschnitt. Er verfügt über recht gute Rechtskenntnisse auf allen Gebieten, die er insbesondere als Gemeinschaftsleiter anzuwenden in der Lage ist. Er hat in Straf- und in Zivilsachen den Vorsitz geführt und dabei sich den an ihn gestellten Anforderungen durchaus als gewachsen gezeigt. Die von ihm als Beisitzer in meiner Zivilkammer gefertigten Urteile sind gut ausgebaut, präzise, ohne unnötiges Beiwerk. Er hat ein durchaus selbständiges Urteil und hat seine Eignung auch bei Bearbeitung einzelner Präsidialgeschäfte, die ich ihm zugeteilt habe, bewiesen
. Welche Geschäfte das waren, mußte man mutmaßen, es stand auch nicht in Buchs verschlossenem Gesicht geschrieben. Es müssen „durchaus“ prekäre Geschäfte gewesen sein, wenn sie nicht weiter aufgeführt worden sind. Eine weitere Beurteilung aus dem Jahr 1936 lag vor:
Sein Charakter und seine Führung sind tadellos. Seine politische Zuverlässigkeit unzweifelhaft
. 1937 war er im SA-Reservesturm 21/117 in Mainz. Die SA-Reserve stand den frühen Mitgliedern offen, den älteren mit der Erfahrung in der Kampfzeit. Aus der SA wurde er in die NSDAP übernommen. Unzweifelhaft war auch die weitere Karriere, die er gleichzeitig machte. 1939 wurde er zum Oberlandesgerichtsrat in Darmstadt ernannt, von 1940–1945 war er am Divisionsgericht Koblenz als Kriegsgerichtsrat tätig. Er urteilte über Fahnenflüchtige und „Truppenschädlinge“, wie sie genannt wurden. Buch hatte die Fragebögen nach seinem Vorleben beim
Gouvernement Militaire en Allemagne
ordnungsgemäß beantwortet und war nach mehreren Zwischenstationen durch Spruch der Zentralen Säuberungskommission beim Regierungspräsidenten Hessen-Pfalz am 19. 11. 1946 eingestuft worden:
Vorläufige Belassung, jedoch nicht als Spruchrichter mit Gehalt von 1937
.
Als Kornitzer am Bodensee in der Säuberungskommission arbeitete, war ihm kein einziger Fall eines Juristen zu Ohren gekommen, er hatte nach den Angestellten und Arbeitern im Schlachthof die Fragebögen von Handwerkern zu bewerten, von Klavierlehrerinnen, von kleinen Unternehmern. Und er hätte nicht gewußt, wie er reagiert hätte, über dem ellenlangen Fragebogen eines ehemaligen Richterkollegen brütend, der älter war als er, und vor allem konnte er sich auch nicht vorstellen, wie die anderen Mitglieder der Spruchkommission reagiert hätten, wenn sie über einen Richter, einen Kriegsgerichtsrat, zu richten
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