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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Selbstfahrer erreichte er gar nicht alle Sitzungsräume, das Gerichtsgebäude hatte keinen Fahrstuhl.
    Das Grundbuch war eine feine Sache, es war eine ganz und gar deutsche Sache, darauf konnte man stolz sein. Das römische Recht kannte das Grundbuch nicht, obwohl es im alten Rom mit seinen imperialen Gesten auch eine feine Sache gewesen wäre. Nur in ihrer Kolonialverwaltung in Ägypten haben die Römer schon einmal das Grundbuch erfunden (vielleicht weil die ägyptischen Latifundien so schön waren mit ihrem Palmengefächel und ihrem heißen Wind, der den Kopf vernebelte). Alle Urkunden über Grundstücke wurden an einer zentralen Stelle gesammelt, allerdings war die Eintragung in das Grundbuch nicht die Voraussetzung für den Erwerb des Eigentums, vielleicht war es nur eine Kontrollfunktion, damit im Wüstenwind das Gedächtnis nicht schmölze.
    In Deutschland wurde das Grundbuch 1872 eingeführt, es gab nach dem Krieg 1870/71 genug Krüppel mit einigermaßen klarem Verstand, denen man die sorgsame Arbeit am Grundbuch anvertrauen konnte. Das Grundbuch hat immer Recht, doch es kann unrichtige Eintragungen enthalten. Es nennt zum Beispiel einen Eigentümer eines Grundstücks, der in Wirklichkeit gar nicht mehr der Eigentümer ist. Wer dann mit dem falschen Eigentümer, der im Grundbuch eingetragen ist, Geschäfte macht, der ist geschützt. Er kann gutgläubig Eigentum erwerben, eine Hypothek oder eine Grundschuld übernehmen, und der wahre Eigentümer hat das Nachsehen. Das Grundbuch ist eine Art von bürgerlicher Bibel, und der Grundbuchrichter ist ein Engel mit flammendem Schwert, auch wenn er gelähmt ist, in sitzender Haltung verharren muß und kriegsbedingte Dellen in seinem Schädel hat. Einigung und Eintragung in das Grundbuch heißen die Aufgaben des Verkäufers und des Käufers eines Grundstückes oder eines Hauses. Aber das war in Mainz nicht so leicht. Gesetzt den Fall, ein Käufer wollte ein Trümmergrundstück erwerben, dessen Eigentümer im Keller des Hauses bei einem Angriff zu Tode gekommen war, dessen einer Sohn in Rußland vermißt war: Was war zu tun? Er übernahm den Trümmerhaufen. Mit den eventuellen Erben des Vorbesitzers, mit dem vielleicht aus der Gefangenschaft zurückkehrenden anderen Sohn war eine Einigung schwierig. Leicht war es dagegen, die Einvernehmlichkeit mit dem Toten herzustellen, der im Grundbuch eingetragen war und sich nicht wehren konnte gegen den Reibach. So war das deutsche Recht. Da mußte der Grundbuchrichter aufpassen wie ein Luchs.
    Funk, das raunte man Kornitzer später auch zu, war kein NSDAP-Mitglied gewesen, er war Mitglied im Luftschutzbund geworden, aber da war er schon so geschädigt, daß er weder dem Luftschutz noch sich selbst wirklich nützlich sein konnte. Amtsgerichtsrat Dr. Funk, so hieß es, konnte seit dem 5. April 1944 nicht mehr zum Amtsgericht kommen, weil ihm beide Schläuche seines Selbstfahrers, die er schon vorher hatte wiederholt flicken lassen müssen, bei einem Bombenangriff geplatzt waren. Deshalb wurden ihm vom Amtsgericht Oppenheim, wo er tätig war, seine Akten in die Wohnung geschickt. Für persönliche Rücksprachen, so hieß es, stand er aber leider dem Publikum seit dem 5. April 1944 nicht mehr zur Verfügung. (Gab es überhaupt noch ein Publikum, das den Richter sprechen wollte und in welcher Angelegenheit?) Seit Freitag, dem 21. April 1944 lag er im Bett, er litt nicht nur am Wundsein durch die dauernde, gleichmäßig sitzende Haltung im Selbstfahrer, er litt an Zukunftsangst wie die meisten Deutschen, er hatte auch Beschwerden mit seinen Gallensteinen. Die Amerikaner werden kommen, müssen landen, bald, das ist vorauszusehen, der Richter ist gelähmt, sein Kopf schmerzt, das Wägelchen funktioniert nicht mehr, all das erfuhr Kornitzer nach und nach.
    Funk hatte sich wegen Ersatzschläuchen sofort an die zuständige Versorgungsstelle in Offenbach und, weil er auch dort mit Bombenschäden rechnete, gleichzeitig an das Wirtschaftsamt Worms gewandt. Von diesem ist ihm
wohlwollendste und trotz des Vorliegens von etwa 400 Anträgen bevorzugte Berücksichtigung zugesagt worden
. Erhalten hat er aber die bewilligten Schläuche nicht. Sein Vorgesetzter, der Amtsgerichtsdirektor, wandte sich zur Unterstützung ebenfalls an das Wirtschaftsamt. Er schrieb: Eine ordnungsgemäße Rechtspflege erfordere, daß Dr. Funk möglichst bald wieder in den Besitz eines fahrbereiten Fahrstuhls komme, damit er seinen Dienst wieder erfüllen könne. Er bat

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