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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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waren trocken. Nach jedem Großangriff habe man kilometerlange Schlauchleitungen zum Rheinufer legen müssen, um die Brände zu löschen. Sie seien in einem erbarmungswürdigen Zustand gewesen, viele kleine Wasserfontänen seien aus ihnen gesprudelt, an denen die Anwohner ihre Eimer füllten, um selbst kleinere Brände zu löschen. Nur die Wehrmacht habe über einige Tanklöschfahrzeuge verfügt. Der Hauptbahnhof sei betriebsbereit geblieben, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter hätten den Schutt wegräumen müssen. Danach habe es keine zerstörungswürdigen Objekte mehr in der Stadt gegeben, war die Meinung in der Bevölkerung. Ein Behelfslazarett sei in den sicheren Gewölben der Zitadelle eingerichtet worden. In der Nacht zum 18. März 1945 gegen zwei Uhr habe das Pionierbataillon 33, das in Mainz-Kastel seinen Standort hatte, die drei Rheinbrücken gesprengt, die den ganzen Krieg überstanden hätten: die Kaiserbrücke, die Straßenbrücke, die Südbrücke, in Budenheim fackelte ein Pionierkommando die Holzbrücke ab. Die Mainzer hätten mit ohnmächtigem Zorn am Morgen danach die Zerstörung besehen, Trümmerteile hätten aus den Fluten des Flusses geragt und die Schiffahrt für lange Zeit unmöglich gemacht. Auch das Flußschwimmbad sei der Zerstörungswut zum Opfer gefallen. Ein altersschwacher Rheindampfer sei als einzige Verbindung ins Rechtsrheinische übriggeblieben. Diese Fährverbindung von der Anlegestelle der Köln-Düsseldorfer aus habe vor allem den höheren Parteichargen und ihren Familien gedient, die sich absetzen wollten. Man munkelte, die meisten seien im Bayerischen untergetaucht. Die Gestapostelle in der Kaiserstraße 31 hatte sich schon einige Zeit vorher abgesetzt. Am 22. März seien dann schon die Amerikaner am Fischtorplatz gestanden. Es kam Kornitzer vor wie ein Pfeifen im Dunklen. Er aß sein Brötchen, auf das er klumpige Marmelade gekleckst hatte, mit Appetit und fragte sich dann ins Landgericht durch.
    Zu seinem ersten Arbeitstag war eine kleine Feier vorbereitet worden. Der Landgerichtspräsident stellte ihm seine zukünftigen Beisitzer vor, was Kornitzer gleich gefiel, ihm wurde sein Dienstzimmer im ersten Stock zugewiesen, das auf ein mit Brettern vernageltes Fenster der gegenüberliegenden Kirche sah. (Später lernte er, daß diese Kirche St.-Peters-Kirche heißt.) Die dreischiffige Rokokokirche war ausgebrannt, das Mauerwerk teilweise eingestürzt, ein Notdach war darüber gespannt, sie sah zum Erbarmen aus. Er blickte in die Verhandlungsräume, die Richtertische mit einem gefältelten Volant gegen die Angeklagten- und Zeugenbänke abgedichtet, Räume, die Kornitzer, der in Stuben gelebt hatte, plötzlich unsäglich groß vorkamen, Räume für Mammutprozesse mit einer Öffentlichkeit weit in die Stadt hinein. Die Kollegen betrachteten ihn, was in ihren Köpfen vorging, konnte Kornitzer sich nicht vorstellen, und er wußte ja auch nicht wirklich, was in seinem eigenen aufgeregten, aufgewühlten Kopf vorging, was er sich alles merken mußte. Hände wurden geschüttelt, und jemand, vermutlich der Präsident, aber daran erinnerte sich Kornitzer dann nicht mehr richtig, sagte: Die Herren werden sich noch miteinander bekannt machen. Das machten sie auch, mehr oder weniger, früher oder später. Es war ein Abwarten, Zögern, ein Wittern, dem man standhalten mußte. Er würde darüber Claire, sobald er ein wenig Ruhe gefunden hatte, schreiben. Kornitzer lernte Wachleute kennen, Justizangestellte, Assessoren und Referendare. Am ehesten fiel ihm ein Richter auf, der eine Vertiefung an der linken Stirnseite hatte, offenbar hatte er eine schwere Kopfverletzung überlebt. Er wurde ihm als Dr. Funk vorgestellt, und um seine Hand zu ergreifen, mußte man sich tief herabneigen, was ungewöhnlich war. Dr. Funk saß in einem Selbstfahrer, einem hölzernen Kastenstuhl mit großen Rädern, seine Beine waren unter einer Pferdedecke verborgen, als fröre er dauernd in den gefühllosen Gliedern, und er bewegte den Stuhl vorwärts, indem er einen Hebel auf- und niederdrückte. Das machte ihm offenkundige Schwierigkeiten, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Später erfuhr Kornitzer, daß Dr. Funk zu 100 Prozent kriegsverletzt war, aber unbedingt weiterarbeiten wollte, möglicherweise war ihm die Kriegsbeschädigtenrente zu gering. Seine Leistungsfähigkeit war schwer beeinträchtigt, und deshalb hatte er das Amt eines Grundbuchrichters inne, er konnte keinen Sitzungsdienst übernehmen. Mit dem

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