Landgericht
darum, so schnell wie möglich neue Schläuche zu bewilligen, da dies seines Erachtens wirklich kriegswichtig sei, und außerdem sei es doch anerkennenswert, wenn ein so schwer Kriegsbeschädigter wie Dr. Funk, der infolge seines Kriegsleidens auch sonst noch körperlich krank sei, Dienst tue und damit den Einsatz eines Wehrfähigen an der Front ermögliche. Am 4. Mai 1944 meldete der Amtsgerichtsdirektor in Worms dem Landgerichtsdirektor in Mainz, Amtsgerichtsrat Dr. Funk habe gestern neue Schläuche für seinen Fahrstuhl bekommen und seinen Dienst wieder aufgenommen.
Der Verlust der Schläuche in den Reifen seines Selbstfahrers war nicht das einzige Unglück, das Dr. Funk in der letzten Kriegsphase traf. Im Dezember 1944 wurde er bei der Heimfahrt vom Dienst in der Dunkelheit vom dritten Anhänger eines Bulldog-Lastzuges angefahren und umgeworfen. Außer einem benommenen Kopf hatte er keinen körperlichen Schaden erlitten. Allerdings war sein Selbstfahrer wieder kaputt, die Speichen eines Rades waren gebrochen, und es gab keine Aussicht, wie und wann das Gefährt repariert werden konnte. Dr. Funk ließ sich wieder die Akten nach Hause bringen. (Fällte er Urteile? Welche? Was waren das für Taten, die er im Dezember 1944 aufklärte, über die er zu Gericht saß?)
Im März 1945 schrieb Dr. Funk, als die Einnahme der linksrheinischen Städte durch die Amerikaner jeden Tag bevorstand, an den Landgerichtspräsidenten in Mainz, daß ihm der Aufsichtsführende Richter mitgeteilt habe, ihm sollten im Amtsgerichtsgebäude in Michelstadt im Odenwald zwei, drei Zimmer zur Verfügung gestellt werden. Für diese Fürsorge seiner Person gegenüber sagte er besten Dank. Er war nicht der einzige Beamte, der einen solchen Umzug schleunigst bewerkstelligen sollte. Alle Verwaltungsstellen im Bezirk erhielten die Anweisung, wichtiges Material auf die rechte Rheinseite zu transportieren. Als hielte der Fluß die Alliierten auf. Als wäre es nicht vorstellbar, daß nach Mainz in kürzester Zeit auch Darmstadt und Frankfurt und … und eingenommen würden.
Ich habe mich entschlossen
, schrieb Dr. Funk weiter an den Vorgesetzten,
von diesem Angebot Gebrauch zu machen, und bitte darum, mir eine Bescheinigung auszustellen, daß meine Übersiedlung nach Michelstadt mit Einverständnis meiner vorgesetzten Behörde erfolgt. Damit ich auf Grund dieser Bescheinigung bei der Fahrbereitschaft Worms die Genehmigung zum Abtransport wenigstens des allernotwendigsten Mobiliars (Betten, Tisch, Stühle) und meines noch vorhandenen Kartoffelvorrates beantragen kann
. So ein Mann war Dr. Funk, er tat bis zuletzt seine Pflicht, und dann war er wieder da, als neue Pflichten zu vergeben waren. Daß sie geringer waren als die früheren, daß seine Arbeit weniger verantwortungsvoll war, darüber sah er hinweg. Er sah auf seine gelähmten Beine unter der Decke, sah seine Schädigung und sah sie gleichzeitig nicht.
Ein anderer Richter, Landgerichtsrat Beck, war gut zehn Jahre jünger als Kornitzer. Er hatte ein überaus glattrasiertes Gesicht mit einem dunklen Bartschatten und in den Lidern ein nervöses Zwinkern. Mit diesem Zwinkern starrte er Kornitzer an wie ein Wesen von einem anderen Stern (und das war er ja auch in gewisser Weise). Der Landesgerichtspräsident hatte 1942 Becks Beurteilung geschrieben:
Er ist politisch zuverlässig, Mitglied der NSDAP, der HJ, des NS-Richterbundes und hat schon frühzeitig aktiv in der Bewegung mitgearbeitet. 1935 wurde er in Salzburg wegen Betätigung für die NSDAP zu sechs Wochen Arrest verurteilt und aus Österreich ausgewiesen
. Gehörte das in eine dienstliche Beurteilung? Eher nicht oder eben gerade, es kam dem Vorgesetzten nicht so sehr auf die fachliche Beurteilung, sondern auf die langjährige und großräumig ausgerichtete Wühlarbeit im Sinne der Partei an. Der Arrest adelte ihn als einen Kämpfer der frühen Bewegung. Beim Entnazifizierungsverfahren wurde Beck dann 1947 um vier Jahre zurückversetzt und als Hilfsrichter in Frankenthal eingesetzt. Das Urteil war aber in Wirklichkeit bedeutungslos,
da Säuberungsentscheidungen – mit Ausnahme der Amnestie- und nicht Nichtbetroffenenbescheide – zu ihrer Wirksamkeit der Veröffentlichung bedürfen
, so stand es in seiner Personalakte. Darüber konnte man fassungslos sein. Hatte Beck nur Glück gehabt, daß jemand, der ihm wohlgesonnen war, im Amtsblatt die Veröffentlichung einfach „vergessen“ hatte? Oder war dahinter eine Strategie: Was nicht
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