Landkarten des Lebens
ausgewaschene Feldwege voller Schlaglöcher führt die Fahrt mit dem Jeep zu den kleinen Siedlungen, den sogenannten Krals. Dort leben die Familien in Rundhütten aus Lehm. Meist muss das letzte Stück bis zu den Hütten zu Fuß zurückgelegt werden, über unbefestigte und staubige Trampelpfade geht es Schritt für Schritt, bergauf und bergab.
Vor der Hütte stehen ein kleiner Junge, vielleicht acht Jahre alt, und seine Schwestern. Ihre Mutter ist irgendwann an Aids gestorben. Der Vater hat sie vor langer Zeit verlassen, um in der Hauptstadt Arbeit zu finden. Insgesamt hatte er fünf Kinder und fragte sich, wie die Größeren ohne ausreichende Schulbildung und Arbeit ihr Leben meistern sollten. Er war einfach hilflos, ertrug das Elend nicht allein und ging. In der Hütte ist es dunkel, Fenster gibt es keine. Auf dem Lehmboden liegen die wenigen Habseligkeiten der Familie verstreut. Ein Tisch, drei wacklige Stühle, mehr Einrichtung besitzen sie nicht.
Die Schwestern haben für die nächsten Tage Lebensmittel mitgebracht. Neben der medizinischen Betreuung kümmern sie sich auch um viele andere Dinge und sind auf diese Weise den Kindern zu wirklichen Lebensbegleitern geworden. Wann immer es geht, besuchen sie diese vielen child-headed-families, erkundigen sich nach der Schule und schauen nach ihnen. Das Ziel besteht darin, ihnen so zu helfen, dass sie sich irgendwann selbst versorgen können und aus ihrer Not herauskommen. Die Kinder brauchen dringend Hilfe von außen. Zum Glück gibt es Menschen wie Schwester Ellen.
In Nkandla und den umliegenden Siedlungen gibt es unendliches Leid, große Einsamkeit – wenig Hoffnung. Und doch ist Nkandla für mich ein heiliger Ort, weil es dort Menschen gibt, die ihr Leben in ganz besonderem Maße mit anderen teilen und sich für die Schwächsten und Ärmsten der Gesellschaft einsetzen. Heilig ist diese Gegend für mich wahrscheinlich auch deswegen, weil ich dort im wahrsten Sinne des Wortes christliche Nächstenliebe erlebt habe. In diese unwirtliche und in jeder Hinsicht arme Region tragen die Schwestern durch ihre Anwesenheit den Reichtum hinein, den der Glaube ausmachen kann.
Es gibt natürlich auch noch andere Orte, die ich als heilig bezeichnen würde. Dazu gehört der Mainzer Dom mit der Gotthard-Kapelle. Wenn man vom Marktplatz zum Dom schaut, fällt einem dieser Anbau am Dom aus dem 12. Jahrhundert sofort auf. Gebaut aus hellem Muschelkalkstein hebt sich die Kapelle von dem roten Sandstein des Doms ab. Sie ist wohl eine der ältesten romanischen Kapellen in Deutschland. In ihr hängt ein ganz besonderes Kreuz, das sogenannte Udenheimer Kreuz. Es wurde Mitte des 11. Jahrhunderts geschaffen und gehört zu den wenigen Kreuzen, die aus der Zeit der Romanik erhalten sind. Es besteht aus einfachen Holzbalken, der Korpus wurde geschnitzt und bemalt. Wenn ich dort bin, wird mir die Dimension des Glaubens und der Kirche immer wieder neu bewusst. Seit Jahrhunderten kommen dort Menschen zusammen, beten, danken für das Gute in ihrem Leben oder bringen ihre Sorgen und Nöte vor Gott.
Manchmal ist es ein wenig düster im riesigen Dom. Und dennoch strahlt der Raum eine große Lebendigkeit aus. Und der Mainzer Kardinal Lehmann mit seiner den Menschen zugewandten Art ist für mich von besonderer Bedeutung. Ein heiliger Ort ist für mich nie nur der umbaute Raum. Es sind die M enschen, die den Ort mit ihrem Glauben füllen. Mein Glaube an Gott hat sich erst nach und nach entwickelt. Meine Großeltern stammten ursprünglich aus Hamburg und aus Ostpreußen, alle waren evangelisch. Durch die Familie meines Mannes kam ich dann nach und nach mit dem katholischen Glauben in Berührung. Heute engagiere ich mich an verschiedenen Stellen für beide große christliche Konfessionen. Auf der evangelischen Seite ist da zum Beispiel das Kuratorium der Stiftung der ekhn, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, deren Anliegen es ist, über Kunst, Kultur und Wissenschaft die evangelische Kirche in der Gesellschaft erlebbar zu machen. Ich bekenne mich zu meinem christlichen Glauben, ohne dass ich dieses Bekenntnis vor mir hertrage. Es ist für mich eine selbstverständliche Koordinate meines Lebens.
In meinem Arbeitszimmer liegt seit einigen Jahren ein Rosenkranz. Er erinnert mich an folgende besondere Begegnung: Der Franziskanerpater Hermann Schalück, der frühere Präsident von missio, hatte mich vor einigen Jahren gebeten, die ehemalige Kindersoldatin China Keitetsi zu einer Audienz bei
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