Landkarten des Lebens
lasse mich durch eingehende Telefonate, E-Mails und SMS so sehr ablenken, dass ich mich nicht mehr auf mich selbst konzentrieren kann. Verrückterweise ist es so, dass an vielen heiligen Orten Funklöcher sind. Menschen, die das quasi unfreiwillig hinnehmen müssen, sind auf einmal ganz angetan von dieser Nichterreichbarkeit. Endlich haben sie ihre Ruhe! Und weil sie auch keine Chance haben, das, was sie da gerade erleben, sofort wieder zu kommunizieren, sei es nun via E-Mail, Handy oder Twitter, stellen sie fest, dass ihnen genau das hilft, zu sich selbst, zu innerer Ruhe, zu Gott zu finden.
Ich glaube fest daran, dass Schweigen gut ist. Gut und wertvoll. Manche Erfahrungen – und dazu gehören definitiv die heiligen, die besonderen Erfahrungen – sollte man besser für sich behalten. Nur dann kann man sie wie einen Schatz bewahren. Nur dann bleiben sie auch für lange Zeit ein Schatz. An heiligen Orten ereignen sich Sternstunden und Sternstunden passieren im Herzen, nicht auf Twitter oder Facebook.
Zur Ruhe kommen, Kraft tanken
Heilige Orte, das sind definitiv auch jene, an denen Menschen gelebt haben, die uns beeindrucken und uns wichtig sind. Ich erinnere mich noch gut an mein Abitur. Eines meiner Prüfungsthemen war Leben und Werk des Malers Caspar David Friedrich. Die Stätten seines Wirkens und viele Vorbilder der Landschaften, die er gemalt hat, lagen damals noch in der DDR und ich hatte keine Chance, dorthin zu reisen. Doch sofort, nachdem die Mauer gefallen war, machte ich mich auf den Weg. Das Elbsandsteingebirge, Dresden, Rügen, Greifswald, Cap Arcona – alle diese Orte und Plätze schaute ich mir an. Und etliche Jahre später drehte ich dann einen Film über Caspar David Friedrich, „Ein Augenblick zur Ewigkeit“ hieß er. Für diesen Film machte ich mich auf die Suche nach dem, was Caspar David Friedrich 200 Jahr zuvor in der Natur gesehen haben mochte und was er dann schließlich gemalt hat.
Die Arbeit an diesem Film zog sich über ein Jahr hin. Und alle, die dabei waren, spürten, dass es mit diesen Orten etwas Besonderes auf sich hatte. Im Elbsandsteingebirge fand ich zum Beispiel genau die Felsen, die Caspar David Friedrich später gemalt hat. Exakt die Felsen, die er gesehen hat, sahen wir nun auch. Und das verband uns mit ihm. Das machte uns diesen Ort heilig. Noch einmal mehr, da wir wussten, dass der berühmte Maler seine Bilder als eine Form der Gottesanbetung begriff. Er war ein tief gläubiger Mensch und wollte mit seinen Bildern Predigten und Andachten schaffen. Seine Bilder symbolisierten die Endlichkeit alles Menschlichen und wiesen den Weg zu Gott – und das tun sie heute noch. Deswegen sind mir nicht nur die Orte heilig, an denen Caspar David Friedrich gelebt und gearbeitet hat, sondern auch jegliche Plätze, an denen seine Bilder zu sehen sind. Wenn ich mich in einem Museum vor einem seiner Bilder niederlasse, dann ist mir auch dieser Platz heilig. Denn dort komme ich zur Ruhe, dort tanke ich Kraft, dort gelange ich in einen inneren Dialog mit Gott.
Und das ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die ich für Sie in diesem Kapitel habe: Heilige Orte beginnen in unseren Herzen. Sie sind immer dort, wo wir bereit sind, Gott zu empfangen. Das kann überall sein: keinen halben Kilometer von meinem Büro entfernt am Ufer der Lahn, in meiner Wohnung, in der nächsten Stadt und natürlich auch am anderen Ende der Welt, ganz egal. Wer sich öffnet, zu dem spricht Gott. Wir müssen nur auf Empfang schalten, dann hören wir ihn. Das, was uns gefangen nimmt, müssen wir deshalb ablegen. Sicherlich gibt es Orte, an denen uns das besser gelingt als an anderen. Für mich ist es das Meer. Wenn ich am oder auf dem Meer bin, kann ich ganz besonders gut abschalten. Zeiten am Meer nutze ich ganz bewusst, um auch in Sachen Kommunikation abzuschalten. Ich rufe keine E-Mails ab, das Handy bleibt aus, ganz egal, was passiert. Und selbst wenn ich Bücher und Zeitschriften mitgenommen habe – sie bleiben meist ungelesen. Ich verschließe meine inneren Ohren vor dem, was von draußen, von der hektischen Welt, über mich hereinbrechen will. Genauso wie das Wattenmeer den Wechsel von Ebbe und Flut braucht, so brauche auch ich diesen Wechsel von Öffnung gegenüber der Welt und Abgeschiedenheit.
Selbst wenn ich mit Freunden zusammensitze, alle ins Gespräch vertieft sind und miteinander lachen, gibt es Momente, in denen ich still werde – das sind heilige Momente an heiligen Orten, denn ich schweige
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